wartende Frauen
Warten auf den Arzt: Bei Kassenpatienten dauert das oft länger als bei Privatpatienten (Foto: DAK)
> Streit um die Wartezeiten für Patienten

Ulla Schmidt hatte
den Stein ins Rollen gebracht. Sie beklagte die langen Wartezeiten für
Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung. Doch neu ist das nicht. Und die
Ärzte kontern, dass die Situation in den Praxen ganz anders sei.


Ist Gesundheitsministerin Ulla Schmidt dünnhäutig geworden?
Versucht sie von den Angriffen auf die weithin kritisierte Gesundheitsreform
abzulenken? Man mag das denken. Denn wie sonst ist zu verstehen, dass sie sich
plötzlich über die Wartezeiten von Kassenpatienten so aufregt. Schluss mit den
unhaltbaren Wartelisten, polterte sie, Kassenpatienten müssten genauso schnell
Behandlungstermine bekommen wie lukrative Privatpatienten.



Die Forderung klingt populär und patientenverbunden – und
ist immer für eine Schlagzeile gut. Aber dass es die Unterschiede gibt, das ist
keine neue Botschaft. Und auch kein Wunder: Mit Kassenpatienten verdienen die
Ärzte heute nur noch wenig. Viele Mediziner geben auch offen zu, dass sie ohne
die Privatpatienten kaum noch überleben könnten.



Aber Vorsicht, sagt auch die Leipziger Volkszeitung und
schreibt: Über der fürsorglichen Ministerin schwebt der Scheinheiligenschein.
Denn leider hat die rheinische Frohnatur im Dauerreformstress Ursache und
Wirkung verwechselt. Niemand anders als die rot-grüne Bundesregierung hat mit
der unsinnigen Verschärfung der Budgetierung in der ambulanten Versorgung erst
die Grundlage für eine Zwei-Klassen-Medizin geschaffen. Manche Praxis müsste
weit vor Ende des Quartals schließen, weil das ihr zugeteilte Behandlungsgeld
längst aufgebraucht ist. Wer will es den Medizinern verdenken, wenn
Privatpatienten dank des höheren Abrechnungsfaktors hochwillkommen sind.



Gar nicht so schlimm, wie von der Ministerin dargestellt,
sieht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Vertretung der Ärzte,
die Situation. „Weit über 40 Prozent der gesetzlich Versicherten müssen
überhaupt nicht auf einen Arzttermin warten. Sie bekommen ihn sofort. Das hat
erst kürzlich eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) bei 4315 Befragten
ergeben."



Mit diesem Hinweis hat der Vorsitzende des Vorstands der
KBV, Dr. Andreas Köhler, auf Äußerungen von Bundesgesundheitsministerin Ulla
Schmidt reagiert. 48 Prozent hatten angegeben, beim Hausarzt überhaupt nicht
warten zu müssen, 41 Prozent sagten dies für den Facharztbesuch aus. Lediglich
ein Prozent wartete beim Hausarzt mehr als drei Wochen auf einen Termin, sieben
Prozent waren es bei den Fachärzten, ergab die FGW-Befragung.



Auch in den Praxen müssen sich gesetzliche Versicherte
gewöhnlich nicht lange gedulden, meint die KBV: Acht Prozent müssen überhaupt nicht
warten, 30 Prozent bis zu 15 Minuten und 31 Prozent bis zu 30 Minuten. „Nur“ 29
Prozent haben länger auszuharren.



Dass die KBV dieses Ergebnis als gut bewertet, ist ihr gutes
Recht. Dass nicht jeder Patient damit zufrieden ist, wird niemand bestreiten.
Doch ob das den Theaterdonner der Ministerin rechtfertigt?



WANC 08.08.06

 
 
 
 
 
 
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