Mann und Frau
Häufigkeit und Ausprägung verschiedener Krankheiten unterscheiden sich je nach Geschlecht (Foto: TK)
> Medizin: Auch eine Frage des Geschlechts

Frauen und Männer leiden
unterschiedlich: Viele Krankheiten treten je nach Geschlecht
verschieden häufig auf, und selbst die gleiche Grunderkrankung
wird unterschiedlich empfunden. Denn Männer haben ein anderes
Körperbewusstsein als Frauen und eine andere Vorstellung von
Gesundheit. Ebenso wie Mediziner sollten sich daher auch
Physiotherapeuten mit den geschlechtertypischen Bedürfnissen von
Mann und Frau auseinandersetzen und die jeweilige Lebenssituation von
Patient oder Patientin bei der Behandlung berücksichtigen,
fordert Eva Trompetter. Dies, so die Bielefelder Physiotherapeutin,
sei ein unverzichtbarer Bestandteil einer qualitativ hochwertigen
Gesundheitsversorgung.


In der Vergangenheit wurden die
Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Medizin weitgehend
ignoriert. In der medizinischen Forschung etwa sind Frauen als
Versuchspersonen häufig unterrepräsentiert. "Obwohl
bekannt ist, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei beiden
Geschlechtern die häufigste Todesursache sind, gibt es mehr
Forschungsarbeiten über Männer als über Frauen",
sagt Trompetter.



Das kann zu schwerwiegenden
Fehldiagnosen führen – denn erst in den letzten Jahren hat man
erkannt, dass sich ein drohender oder akuter Herzinfarkt bei Frauen
durch andere Symptome bemerkbar macht als bei Männern. Umgekehrt
werden bei Männern zuweilen psychische Erkrankungen nicht
richtig diagnostiziert. Trompetter weist darauf hin, dass depressive
Männer manchmal aggressiv oder sogar gewalttätig reagieren.
Weil dies nicht den bekannten Symptomen einer Depression entspricht,
bleibt die Erkrankung daher oft unerkannt.



Die Geschlechter haben eine
unterschiedliche Sichtweise auf den eigenen Körper und haben
unterschiedliche Kriterien dafür, wann sie sich "krank"
oder "behandlungsbedürftig" fühlen. Dies könnte
die Ursache dafür sein, dass Frauen subjektiv mehr Beschwerden
haben und auch früher und häufiger den Arzt aufsuchen als
Männer, vermutet Trompetter.



Auch die Sprachgewohnheiten
unterscheiden sich: Während Frauen ihre Symptome und Schmerzen
oft verkürzt und unspezifisch darstellen, beschreiben Männer
sie eher konkret. Ein Gespür für die unterschiedliche
Sprache von Männern und Frauen zu entwickeln, sei für
Mediziner und Therapeuten daher extrem wichtig, sagt die Bielefelder
Physiotherapeutin, die auch Gesundheitskommunikation studiert hat.



Eine geschlechtersensible Behandlung
kommt letztlich nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Therapeuten
zugute. Trompetter weist darauf hin, dass gerade Präventionsangebote
oft eher von Frauen genutzt werden, obwohl sie geschlechtsneutral
sein möchten. "Weil solche Kursangebote ein wichtiges
Standbein vieler Physiotherapie-Praxen sind, lohnt es sich, die
Teilnahmebarrieren für Männer zu senken", rät
sie.



Dabei müsse das Selbstbild von
Männern stärker berücksichtigt werden. Ein Beispiel:
Um dem von Männern bevorzugten Ziel der Leistungsverbesserung
entgegenzukommen könne man etwa das Wort "Rückenschule"
durch "Rückentraining" ersetzen, "Gesundheitssport"
könne auch als "Ausdauertraining" angeboten werden. Im
Praxisalltag sei es sinnvoll, die Patienten gezielt nach ihren
Bedürfnissen zu fragen, und diese in die Planung von Therapien
und Kursangeboten einfließen zu lassen.



WANC 22.02.08 Quelle: E. Trompetter:
Geschlechtersensible Physiotherapie, physiopraxis 2, S. 22–24

 
 
 
 
 
 
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