Frau
Schmerzen: Frauen sind schmerzempfindlicher, haben aber auch mehr Wege entwickelt, mit den Schmerzen umzugehen
> Frauen und Schmerz: Das andere Empfinden

Frauen leiden häufiger an
chronischen Schmerzen als Männer, und ihre
Schmerzempfindlichkeit ist generell höher. Die
Geschlechtsunterschiede beim Schmerz, hervorgerufen durch genetische,
hormonelle und soziale Faktoren, sind aber nur wenig erforscht,
noch werden sie in der klinischen Versorgung berücksichtigt.
Medikamente, die zu 80 Prozent von Frauen eingenommen werden,
wurden bis vor kurzem nur an Männern getestet. Ernsthafte
Probleme können dadurch etwa bei Paracetamol auftreten.


Frauen sind bei den meisten
Schmerzsyndromen deutlich überrepräsentiert, zum Beispiel
bei Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp, Gesichtsschmerz
und Unterleibsschmerzen. Auch von generalisierten Schmerzerkrankungen
wie zum Beispiel Fibromyalgie sind sie häufiger betroffen als
Männer. Einige dieser Schmerzerkrankungen treten dabei auffällig
oft bei Frauen in bestimmten Lebensphasen auf. So ist die Häufigkeit
von Migräne und Kiefergelenksschmerzen besonders nach der
Pubertät und bis zur Postmenopause bei Frauen erhöht.
Gelenkschmerzen kommen dagegen besonders häufig bei Frauen nach
dem 50. Lebensjahr vor. Die Ursachen dafür sind vielfältig
und bisher nur im Ansatz bekannt.



Ein Erklärungsversuch ist eine
unterschiedliche Sozialisierung von Kindern in europäischen
Gesellschaften. „Sie läuft darauf hinaus, dass es für
Jungen und damit auch für Männer weniger adäquat ist,
Schmerzen zu äußern und über sie zu klagen",
erklärt Prof. Dr. Esther Pogatzki-Zahn, der die
geschlechtsspezifische Unterschiede des Schmerzempfindens am
Universitätsklinikum Münster erforscht.



Verschiedene Untersuchungen weisen
darauf hin, dass Frauen bestimmte Rollenerwartungen in der Äußerung
von Schmerzen zeigen. Darüber hinaus werden Frauen durch
Erfahrungen mit der Menstruation und den damit verbundenen
physiologischen Veränderungen sensitiver für physiologische
Signale und erwerben damit eine erhöhte Aufmerksamkeit für
körperliche Symptome. Hinzu kommt, dass Schmerzen während
der Menstruation möglicherweise einen Sensibilisierungsfaktor
darstellen. „Das bedeutet, dass das Nervensystem von Frauen durch
immer wiederkehrende Schmerzen in seiner Empfindlichkeit gesteigert
wird und damit bei Frauen zum Beispiel die Schmerzschwelle sinkt",
so Pogatzki-Zahn.



Sowohl die Reaktion auf als auch der
Umgang mit Schmerzen scheint bei Frauen und Männern
unterschiedlich zu sein. Eine Studie an Patienten und Patientinnen
mit Arthritis ergab zum Beispiel, dass Frauen mit über stärkere
Schmerzen berichteten, aber gleichzeitig auch mehr Strategien
entwickelt haben, mit ihnen fertig zu werden.



Frauen scheinen besser in der Lage zu
sein, negative emotionale Konsequenzen durch den Schmerz zu
begrenzen: Ihre Stimmungslage war trotz stärkerer Schmerzen
besser als bei Männern mit den geringeren Schmerzen. Insgesamt
scheinen Frauen sich bei der Schmerzbewältigung mehr auf
interpersonale/emotionale Aspekte zu konzentrieren und suchen mehr
soziale Unterstützung, Männer ignorieren Schmerzen dagegen
häufiger und verwenden mehr Selbstinstruktionen, um mit dem
Schmerz umzugehen.



Auf die generell höhere
Schmerzempfindlichkeit von Frauen hat nicht nur das Geschlecht,
sondern auch der Hormonstatus einen Einfluss. „Experimentelle
Untersuchungen weisen zum Beispiel auf eine deutliche Abhängigkeit
der Schmerzempfindlichkeit vom Menstruationszyklus hin", sagt
Pogatzki-Zahn. So unterliege zum Beispiel die Ausschüttung
verschiedener Botenstoffe (Neurotransmitter) Veränderungen im
Östrogenspiegel.



„Ein durch sinkende Östrogenspiegel
ausgelöster Abfall von Serotonin scheint hemmende Effekte an
einem bestimmten Rezeptor zu verhindern und damit das Auslösen
von Kopfschmerzen zu begünstigen", erläutert sie. Auch
die Erregbarkeit von Kontaktstellen zwischen Nervenzellen (Synapsen)
im zentralen Nervensystem und die Expression verschiedener Rezeptoren
scheinen vom hormonellen Status abzuhängen.



Außerdem scheinen genetische
Faktoren bei der Schmerzempfindung von Frauen und Männern eine
unterschiedliche Rolle zu spielen. Im Tierexperiment kann das Fehlen
eines Genes (das zum Beispiel für ein Rezeptor- oder
Ionenkanalprotein oder einen Neurotransmitter kodiert) die
Empfindlichkeit für Schmerzreize verändern; dies ist bei
einigen nachgewiesenen Proteinen relevant für das eine, nicht
aber das andere Geschlecht. „Es scheint also Proteine zu geben, die
in das Schmerzgeschehen bei Frauen und Männern unterschiedlich
einwirken bzw. Frauen möglicherweise schmerzempfindlicher machen
als Männer", erklärt Pogatzki-Zahn. Hierzu zählt
auch der unterschiedliche Effekt verschiedener Schmerzmittel bei
Frauen im Vergleich zu Männern, wobei allerdings häufig
Frauen diejenigen sind, die besser auf einige Analgetika ansprechen
als Männer.



Bis 1988 wurden die meisten
pharmakologischen Studien ausschließlich an Männern
durchgeführt. Dies steht im Kontrast zum Medikamentenverbrauch,
bei dem Frauen mit ca. 80 Prozent überwiegen. Ähnliches
gilt für Studien, in denen es um diagnostische, präventive
und therapeutische Maßnahmen ging. Die Ergebnisse wurden und
werden auch heute noch teilweise auf Frauen übertragen. „Das
kann fatale Folgen haben", warnt Pogatzki-Zahn. „Zum Beispiel
gründet die Dosierung von Acetaminophen, dem Wirkstoff in
Paracetamol oder Ben-u-ron-Tabletten, immer noch auf Studien, die vor
vielen Jahren an Männern durchgeführt wurden, obwohl man
heute weiß, dass die Eliminationshalbwertszeit von
Acetaminophen bei Frauen nur 60 Prozent von der bei Männern
ist."



Frauen haben daher ein erhöhtes
Risiko für schwerwiegende Komplikationen durch Paracetamol. In
anderen Fällen kann dies auch bedeuten, dass eine Substanz
weniger gut wirkt oder sogar den gegensätzlichen Effekt bei
Frauen im Vergleich zu Männern haben kann. Deswegen gab 1993 das
amerikanische Institut für Gesundheit (NIH) in den USA eine
verbindliche Richtlinie heraus, die besagt, dass Frauen und
Minderheiten in klinische Studien miteinbezogen werden müssen.
„Seitdem hat sich zwar einiges bewegt; immer noch sind allerdings
die wenigsten Studien darauf ausgerichtet, frauenspezifische
Therapien zu generieren", bemängelt Pogatzki-Zahn.
„Bestenfalls - und das längst nicht immer - werden für
klinische Studien gleich viele Männer und Frauen rekrutiert und
die Gesamtergebnisse dann auf beide Geschlechter gleichwertig
extrapoliert."



WANC 09.10.07

 
 
 
 
 
 
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