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Mehr als ein Drittel der Frauen zwischen 55 und 64 und die Hälfte alle über 75-Jährigen sind durch ein Herzleiden behindert (Foto: DAK/Wigger)
> Herzinfarkt: Keinesfalls nur „Männersache“

Die Tatsache, dass in Europa nicht nur jeder fünfte Mann, sondern auch jede fünfte Frau an Koronarer Herzerkrankung stirbt, scheint noch nicht in alle Arztpraxen vorgedrungen zu sein. Deshalb werden anscheinend Männerherzen eher und gründlicher untersucht als Frauenherzen.

Die Experten des EHFG (European Health Forum Gastein) räumen mit zwei grundlegenden Herzkreislaufmärchen auf: Märchen Nr. 1 lautet: Herzinfarkt ist Männersache. "Diese Meinung entsteht dadurch, weil Männer diese Krankheiten in der Regel zehn Jahre früher ausbilden als Frauen. Männer leiden oder sterben daran, wenn sie noch mitten im Erwerbsleben stehen", erläutert Susanne Volqvartz von der Danish Heart Foundation.

Wahrscheinlich steht deshalb stets die Herzgesundheit der Männer im Mittelpunkt – sehr zu Unrecht, stellt Peggy Maguire vom European Institute of Women's Health, Dublin, fest: "Koronare Herzerkrankungen sind bei den europäischen
Frauen sogar die häufigste Todesursache und der Hauptgrund für schweres Leiden und Behinderung. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Frauen durchschnittlich sechs Jahre länger leben als Männer: Mehr als ein Drittel der Frauen zwischen 55 und 64 und die Hälfte alle über 75-Jährigen sind durch ein Herzleiden behindert." Das kommt natürlich teuer zu stehen: 30 Prozent der durch verfrühten Tod verlorenen Jahre gehen in Europa auf die Rechnung von Herzkreislauferkrankungen.


Märchen Nr. 2: Den reichen Geschäftsmann trifft der Infarkt. "An diesem Mythos hat freilich die Filmindustrie kräftig mitgebastelt: Für gewöhnlich sind es die Firmenbosse, Politiker oder andere einflussreiche Leute, die sich in den Filmen plötzlich ans Herz greifen und umfallen", erklärt Volqvartz. Tatsache sei jedoch, dass Herzkreislauferkrankungen deutlich öfter bei Männern und Frauen niedrigerer sozialen Klassen vorkommt.

"In England erliegen dreimal mehr ungelernte Männer einem Leiden an den Herzkranzgefäßen als Männer mit Fachausbildung.
Dieser Unterschied hat sich in den letzten 20 Jahren drastisch vergrößert", bemerkt der für Gesundheit und Konsumentenschutz zuständige EU-Kommissar David Byrne. "Dem ist hinzuzufügen, dass Frauen immer noch schlechter ausgebildet sind und weniger verdienen als Männer und schon deswegen benachteiligt sind", so Volqvartz.


Noch fehlt den Frauen das Bewusstsein, genauso Risikogruppe zu sein wie die Männer. "Eine Umfrage in Dänemark zeigte, dass weniger als zehn Prozent der Frauen glaubt, dass kardiovaskuläre Krankheiten die größte Gesundheitsbedrohung für sie darstellt", berichtet Volqvartz. "Zwei Drittel der Befragten hielten Brustkrebs für die größte Gefahr." Tatsächlich stünden die Chancen 1:4 - nur zehn Prozent der Frauen erkranken an Brustkrebs, 40 Prozent an einer kardiovaskulären Erkrankung.


"Frauen sind beruflich gestresster als Männer. Sie leisten mehr Arbeitsstunden pro Tag als ihr Partner, denn gewöhnlich bleibt auch noch der Löwenanteil der Haushaltsführung an ihnen hängen", betont Volqvartz. Eine schwedische Studie habe belegt, dass sich diese Doppelbelastung körperlich nachweisen lasse: Stresstests zeigen, dass Männer eine hohe Konzentration Stresshormone am Beginn ihres Arbeitstages aufweisen. Diese senkt sich im Verlauf des Tages und ist bei Feierabend auf einem normalen Level.

Bei Frauen ist der Stresshormonspiegel ebenfalls am Morgen hoch und senkt sich im Tagesverlauf, doch vor Feierabend steigt er erneut an, weil sich die Frauen körperlich für den "nächsten Job", die Arbeit daheim, bereit machen. Die beschrieben Lebensbedingungen machten es den Frauen nicht leicht, gesund zu leben und auf sich zu achten. Im Gegenteil: Keine Energie, Sport zu machen und so mal was Gutes für sich zu tun. Denn: Regelmäßige Bewegung garantiert ein gesundes Herz.


Nicht nur um den gesunden Lebensstil ist es bei Frauen schlecht bestellt, es gibt auch große Mängel bei der Forschung, die auf weibliche Gesundheit zugeschnitten ist. "Traurig, aber wahr: Wir können zur Herzgesundheit der Frau manche der banalsten Fragen nicht beantworten!", bedauert Maguire. Die meisten Untersuchungen zur Koronaren Herzerkrankung ist mit Männern durchgeführt worden; zu Frauen, und hier speziell zu älteren Frauen, gibt es einfach nicht ausreichend Datenmaterial.


Prävention sollte massiv forciert werden - etwa in Form von Aufklärungskampagnen, die die Bürger über die Risiken informieren, die von Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel ausgehen. Solche Bemühungen wären umso effektiver, wenn sie europaweit koordiniert werden könnten. "Die Notwendigkeit, endlich Präventivstrategien, Diagnose-Tests und eine sinnvolle Behandlungs- und Rehabilitationspolitik für Frauen zu entwerfen, wird mit jedem Tag dringlicher."


WANC 19.10.04/pte

 
 
 
 
 
 
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