Bauer beim Pflanzenschutz: Glyphosat baut sich offenbar nicht so schnell ab, wie versprochen (Foto: Rainer Sturm  / pixelio.de)
Bauer beim Pflanzenschutz: Glyphosat baut sich offenbar nicht so schnell ab, wie versprochen (Foto: Rainer Sturm  / pixelio.de)
> Glyphosat: Es gibt Langzeitwirkungen

Die Politik streitet sich mit den Chemieunternehmen, die Gutachter mit den vielen Wissenschaftlern und alle untereinander. Und der lachende Dritte ist nicht der Verbraucher, sondern er ist der Gelackmeierte. Weil es bei dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat vor allem um wirtschaftliche Interessen geht, wird um die Verlängerung der Zulassung mit allen Mitteln gekämpft. Der Schutz des Verbrauchers spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle.

Wenn man die Chefs den Chemiekonzeren BASF und Bayer - Kurt Bock und Werner Baumann - zuhört, dann existiert überhaupt kein Problem. Dann ist Glyphosat ein „sicheres Produkt“ und „die Verteufelung in Deutschland abenteuerlich“. Dass es um die Zulassungsverlängerung einen solches Gezerre gebe, sein ein „mittelgroßer Skandal“.

Tatsache ist, dass die EU um die weitere Zulassung und ihre Dauer ringt. Dazu hat sie eine Bewertung der gesundheitlichen Risiken durchführen lassen, deren Federführung beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) lag. Zu dieser Bewertung haben andere deutsche Behörden wie das Julius-Kühn-Institut (JKI), das Umweltbundesamt (UBA) sowie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Europäische Agentur für Chemikaliensicherheit (ECHA) sowie Organisationen und Behörden aus den anderen Mitgliedsstaaten beigetragen. Diese kommen zu dem Ergebnis, „dass Glyphosat nach derzeitigem Stand des Wissens nicht als krebserregend einzustufen ist“.

Zu einer ganz anderen Bewertung kommt die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), die eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO ist. Sie stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein.

Vor diesem Dilemma stehen nun die EU-Abgeordneten: Sie müssen sich entscheiden, wer Recht hat oder wem sie mehr glauben. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt der Vorschlag, Glyphosat nicht auf die Dauer von zehn sondern nur von fünf Jahren erneut zuzulassen. Die letztliche Entscheidung treffen die Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit im Fachausschuss.

Warum die Ergebnisse der Bewertungen so unterschiedlich ausfallen, lässt sich nur schwer erklären. Da geht es um unterschiedliche Bewertungen von möglichen Risiken und einem als tatsächlich angesehenen Gefährdungspotenzial, da geht es um die Begutachtung von Glyphosat (Markenname Roundup) oder sämtlicher Produkte, also der unterschiedlichen Mischungen oder Anwendungen. Da geht es aber auch um die Einbeziehung und Bewertung von Studien - ob sie also wissenschaftlichen Kriterien stand halten oder nicht. Und da geht es um Daten, die öffentlich gar nicht verfügbar gemacht wurden.

In diesem Streit macht auch niemand vor Verdächtigungen und Anschuldigungen halt. Dem BfR wurde vorgeworfen - und anhand von Textproben auch gezeigt - von Studien und Bewertungen der Hersteller abgeschrieben zu haben. Im Gegenzug unterstellte das Infoportal Glyphosat - eine Initiative verschiedener Pflanzenschutzmittel-Unternehmen -  dem Vorsitzenden des für die Klassifizierung von Glyphosat zuständigen IARC-Komitees, Dr. Aaron Blair, vor, dass er „bewusst entscheidende Informationen zurückgehalten hat“. Damit soll die Glaubwürdigkeit der IARC in Zweifel gezogen werden.

Was wirklich stimmt, ist für den einzelnen nur schwer zu beurteilen. Unter anderem auch, weil vieles nicht wirklich erforscht ist. Man darf sich fragen: Warum eigentlich? Der Ernährungswissenschaftler Wim Wätjen von der Uni Halle hat z.B. an Fadenwürmern untersucht, ob und wie Glyphosat im Körper wirkt. Durch Glyphosat allein, konnten keine Schäden an der DNA fest gestellt werden, ein Anzeichen für eine Krebserregung wurde nicht gefunden. Bei einer Formulierung von Glyphosat, also einem in der Landwirtschaft eingesetzten Spritzmittel, sah das anders aus: Die Tiere starben schneller.

Ein anderes Beispiel: Die Hersteller behaupten, dass Glyphosat schnell abgebaut wird und deshalb unschädlich für die Umwelt ist. Der Bodenkundler Peter Gros von der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Uni Rostock hat das untersucht und fest gestellt, dass sich Glyphosat verteilt und aus dem Boden ausgewaschen werden könne. So gelange es ins Oberflächenwasser oder ins Grundwasseran und sei zum Beispiel im Grundwasser bis hin zur Ostsee zu finden. Außerdem würden Kohlenhydrate und Eiweiße Glyphosat im Boden so binden, dass es mit den gängigen Messmethoden nicht mehr erfasst werden könne. Das lege den Verdacht nahe, dass die Mengen an Glyphosat, die derzeit gemessen werden, nicht stimmen könnten. Möglicherweise sei mehr da, eventuell viel mehr.  

Dass möglicherweise viel zu wenig über Glyphosat und seine Wirkungen bekannt ist oder veröffentlicht wurde, belegt jetzt auch eine neue Untersuchung aus Kalifornien. In einer Studie wurde die Glyphosatanreicherung im Urin in den Jahren 1993/96 mit denen in den Jahren 2014/2016 verglichen. Das Ergebnis: 1993/1996 wurde bei 12% der Teilnehmer – Bewohner eines Vororts von San Diego im Alter über 50 Jahre – Glyphosat im Harn gefunden. 2014/16 hatte sich diese Zahl auf 70% erhöht. Und die Konzentration von  Glyphosat im Urin hatte sich von 0,203 auf 0,449 µg/l mehr als verdoppelt. Bei der Aminomethylphosphonsäure (AMPA), einem Hauptabbauprodukt von Glyphosat, stiegen die Werte von 0,168 auf 0,401 µg/l.

Was das bedeutet? Es lässt sich vermuten, dass das Versprechen von einem schnellen Abbau des Pflanzengiftes im Boden so nicht stimmt. Im Gegenteil: Das Mittel scheint sich im Körper von Menschen anzureichern. Prof. Dr. Elizabeth Barrett-Connor, Medizinerin an  der Universität San Diego, die die Studie durchgeführt hat, meint außerdem, dass die Auswirkungen auf den Menschen bisher nicht ausreichend untersucht wurden. Bei Tieren, bei denen derartige Werte gemessen wurden, waren die gesundheitlichen Folgen dramatisch: Die Tiere bekamen Leberprobleme, die dem Krankheitsbild einer nicht-alkoholischen Fettleber beim Menschen ähnelten.

30.10.2017 cs/ Quelle: JAMA, MDR, NDR, BfR, Bundestag

 
 
 
 
 
 
powered by webEdition CMS