> Vitamine, Spurenelemente & Co.: Keine Spur von unbedenklich

Vitamine, Spurenelemente, Omega-3-Fettsäuren oder Phytosterine - die Botschaft, dass Nahrungsergänzungsmittel der Gesundheit nutzen, glauben viele. Doch Glaube, Hoffnung und Realität passen oft nicht zusammen. So warnt ein Arzt vor der Annahme, dass die Mittel vor Herzkreislauferkrankungen schützen könnten. Er nennt derartige Hoffnungen trügerisch und hält die Ergebnisse neuerer Studie für realistischer, dass einzelne Nahrungsergänzungsmittel mehr schaden als nutzen.

Dr. Oliver Weingärtner, Kardiologe an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg, hat fest gestellt, dass derzeit Phytosterine, die in Joghurt, Milch-, Frucht- und Sojagetränken, Gewürz- und Salatsoßen sowie in bestimmten Margarine-Produkten enthalten sind, sich besonderer Beliebtheit erfreuen. Die pflanzlichen Phytosterine sollen zu einer bis zu 15-prozentigen Senkung des Cholesterinwerts führen und dadurch das Herzinfarktrisiko senken. Weingärtner skeptisch: „Neuere Studien zeigen jedoch, dass dieser Effekt nicht immer sicher reproduzierbar ist, und dass Phytosterinsupplementation bei einigen Menschen auch zu einer paradoxen Erhöhung des Cholesterinspiegels führen kann.“

Er verweist auf eine seltene Erkrankung, die Phytosterinämie, bei der der Darm die für den Körper nutzlosen Phytosterine nicht wieder ausscheiden kann. „Extrem erhöhte Phytosterinkonzentrationen führen bei den Patienten zu Fettablagerungen in der Haut und einer frühzeitigen, häufig tödlich verlaufenden Atherosklerose“, warnt Weingärtner. Phytosterine gelten deshalb nicht mehr als unbedenklich, betont er. Das  Bundesinstitut für Risikobewertung habe bereits 2008 gefordert, diese Produkte nur Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten zu empfehlen. Nun wolle die „European Food and Safety Authority“ eine Neubewertung von Phytosterinen vornehmen. Selbst die medizinischen Fachverbände, die anfangs die Einführung von Functional Foods begrüßt haben, stehen den Phytosterinen inzwischen kritisch gegenüber, weiß Weingärtner:  „Die American Heart Association empfiehlt sie in ihrer im letzten Jahr veröffentlichten Leitlinie nicht mehr.“

Kardiologen bewerten auch die gesundheitsfördernden Eigenschaften von langkettigen Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl nicht mehr uneingeschränkt positiv. Weingärtner zitiert die in vereinzelten Studien beobachteten bedenklichen Effekte, wie eine Erhöhung des Cholesterinwerts im Blut, eine Beeinträchtigung der Immunabwehr bei älteren Menschen sowie eine erhöhte Blutungsneigung. „Nach einer aktuellen Meta-Analyse, die die Ergebnisse aus insgesamt 89 klinischen Studien zusammenfasst, gibt es keine klare wissenschaftliche Evidenz, dass eine Nahrungsmittelergänzung mit Omega-3-Fettsäuren tatsächlich das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung vermindert“, berichtet der Kardiologe. Es gibt allerdings ein Aber: So könnte es sein, dass Omega-3-Fettsäuren die Konzentration von Neutralfetten, Triglyzeride genannt, im Blut senken, die zunehmend als potenzieller Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen diskutiert würden.

Laut Weingärtner haben Vitamine ihre Unschuld als unbedenklich positive Nahrungsergänzungsmittel bereits in den 1990er Jahren verloren. Damals musste die CARET-Studie (Beta-Carotene and Retinol Efficacy Trial) vorzeitig abgebrochen werden, weil bei Einnahme von Beta-Carotin nicht nur die Lungenkrebsrate, sondern auch die Häufigkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen angestiegen war anstatt, wie erhofft, zu sinken. Das hatte Folgen, wie Weingärtner berichtet: „Seitdem ist die Anwendung von Beta-Carotin, einer Vorstufe von Vitamin-A, und seiner chemischen Verwandten in fast allen Ländern streng reglementiert.“

Beta-Carotin gehört zu den antioxidativen Vitaminen, die als eine Art Rostschutzmittel im Körper die Alterung von Zellen verhindern soll. Eine ähnliche Wirkung wird den Vitaminen A, C, E und Selen zugeschrieben. Auch erkennt Weingärtner zunehmende Zweifel. In einer Meta-Analyse war die allgemeine Sterblichkeitsrate bei Studienteilnehmern, die Vitamin A und E oder Beta-Carotin einnahmen, höher als in der Gruppe ohne Supplemente. Kommt der Arzt zu dem Ergebnis: „Immer mehr große Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: Wer regelmäßig Vitaminprodukte einnimmt, stirbt früher.“

Berliner Ärzteblatt 05.08.2014/ Quelle: DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (27); S.1423-1426

 
 
 
 
 
 
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