Drogenexperten mahnen: Die legalen Drogen Alkohol und Tabak verursachen mindestens den gleichen Schaden wie illegale Substanzen
> Alkohol: Die gefährlichste aller Drogen

Welche Droge schadet dem Menschen
eigentlich am meisten? Die Frage ist gar nicht so einfach zu
beantworten. Denn dabei muss gleichermaßen die Gefährlichkeit gegenüber
dem einzelnen Drogenkonsumenten wie auch gegenüber dem gesamten Umfeld
berücksichtigt werden. Drogenexperten haben nun unter diesen
Gesichtspunkten eine neue Einteilung der Drogen vorgenommen. Dabei
ergibt sich,  dass bei einer Kombination beider Faktoren Alkohol
als schädlichste Droge angesehen werden muss, gefolgt von Crack und
Heroin. Das Verrückte: Gerade die gefährlichste Droge ist bei uns
völlig frei und unkontrolliert zu kaufen und zu konsumieren.
Drogen, darunter Alkohol- und Tabakerzeugnisse, gefährden
Einzelpersonen genauso wie die gesamt Gesellschaft. Doch wie groß diese
Gefährdungen tatsächlich sind, das bedarf einer gründlichen Bewertung.
Das ist, wie Drogenexperten betonen, keine akademische Übung, sondern
notwendig, um Entscheidungen für die Gesundheitssysteme, notwendigen
Kontrollmechanismen und sozialen Fürsorgestrukturen treffen zu können. Vor einigen Jahren hat man versucht, diesem Problem durch die
Einschätzung des Gefährdungspotenzials jeder Droge anhand von 9
Kriterien beizukommen. Diese Kriterien reichten von drogenspezifischen
Gefährdungen bis hin zu sozialen Kosten und solchen der öffentlichen
Gesundheit. Die damalige Analyse, das sagen die Wissenschaftler jetzt,
litt unter dem Fehlen einer differenzierenden Gewichtung der Kriterien.
Professor David Nutt (Imperial College London sowie Independent
Scientific Committee on Drugs, ISCD) und Kollegen haben nun eine
besondere Methode – das Multi Criteria Decision Analysis-Modell (MCDA)
– eingesetzt, um die Gefährlichkeit von Drogen nachzuprüfen. Dazu gibt
es verschiedene Kriterien und Gruppen von Schadenspotenzialen, die
körperliche, psychologische und soziale Gefährdungen erfassen. Die Drogen werden innerhalb eines Rahmens bis 100 mit Punkten bewertet,
wobei der Wert 100 der gefährlichsten Droge hinsichtlich eines
spezifischen Kriteriums zugeordnet ist. Null steht für gefährdungsfrei.
Die nachfolgende Gewichtung vergleicht die über alle Kriterien hinweg
mit 100 Punkten bewerteten Drogen, was die Einschätzung unterstreicht,
dass einige Drogen mit 100 Punkten dennoch gefährlicher sind als
andere. Insgesamt weist das MCDA-Modell Alkohol mit einer Gesamtpunktzahl von
72 als gefährlichste Droge aus. Heroin (55) und Crack (54) folgen auf
den Plätzen. Heroin, Crack und Methamphetamin hatten die gravierensten
Auswirkungen auf die Einzelperson, wohingegen Alkohol, Heroin, und
Crack die stärksten Folgen für das Umfeld hatten. Die anderen
bewerteten Drogen in einer Reihenfolge nach Gesamtgefährdungspotenzial:
Methamphetamin (33), Kokain (27), Tabak (26), Amphetamine/Speed (23),
Cannabis (20), GHB (18), Benzodiazepine (beispielsweise Valium, 15),
Ketamin (15), Methadon (14), Mephedron (13), Butan (10), Kath (9),
Ecstasy (9), anabole Steroide (9), LSD (7), Buprenorphin (6), Pilze
(5). Das muss man sich mal geben: Nach dem Bewertungsmodell ist der frei
verkäufliche und frei konsumierbare Alkohol nahezu dreifach
gefährdender als Kokain oder Tabak und fünfmal gefährdender als
Mephedron. Laut dieser Studie ist selbst die Chemiedroge Ecstasy, die
sich als Partydroge rasend schnell verbreitet hat, nur zu einem Achtel
so gefährlich wie Alkohol. Die Autoren der Studie betonen, dass der MCDA-Prozess ein starkes
Verfahren bietet, um komplexe Sachverhalte, wie sie der
Drogenmissbrauch darstelle, zu bewerten: „Unsere Ergebnisse
unterstützen frühere Studien in Großbritannien und den Niederlanden und
bestätigen, dass gegenwärtige Drogen-Klassifikationssysteme nur
geringen Bezug zu den Gefährdungshinweisen haben. Die Ergebnisse
stimmen auch mit den Schlussfolgerungen früherer Expertenberichte
überein, wonach ein hartnäckiges Anvisieren der Gefährdungen durch
Alkohol eine berechtigte und notwendige Strategie der öffentlichen
Gesundheit ist." Kritiker dieses Bewertungssystems, wie Dr. Jan van Amsterdam vom
National Institute for Public Health and the Environment und Dr. Wim
van den Brink vom Amsterdam Institute for Addiction Research am
Academic Medical Center der Universität Amsterdam, merken an, dass
davon der Polykonsum – also die kombinierte Einnahme - von Drogen, der
unter gelegentlichen Drogenkonsumenten weit verbreitet sei, nicht
berücksichtig werde. Doch sie betonen auch: „In der Diskussion um die
Drogenklassifikation ist es letztendlich verblüffend, festzustellen,
dass zwei der bewerteten legalen Drogen, Alkohol und Tabak, im oberen
Feld der Rangliste punkten, was andeutet, dass legale Drogen mindestens
den gleichen Schaden verursachen wie illegale Substanzen." WANC 09.11.2010, Quelle: DJ Nutt and others. Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis. Lancet 2010; 376: 1558
 
 
 
 
 
 
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