Ärzte
Längst nicht mehr der Herrgott in Weiß: Ärzte stecken in einer Identitätskrise
> Ärzte in der Krise

Deutschlands
Ärzte stecken der Krise. Die Aussichten, eine eigene, florierende
Praxis zu ergattern, sind schlecht. Die Arbeitsbedingungen in den
Krankenhäusern rufen Proteste hervor und verdient wird weniger, als im
europäischen Umland. Gleichzeitig fehlt der Nachwuchs.


In
Zukunft fehlen in Deutschland die Ärzte. Bis 2010 sollen es über 40.000
und bis 2015 sogar über 70.000. Das rechnet die Kassenärztliche
Bundesvereinigung vor. Ein Grund dafür ist die hohe Welle der Ärzte,
die in Ruhestand gehen. Bis 2015 werden es wohl 57.000 Rentner sein,
allein 6.000 im Jahr 2006.

Schon heute gibt es drastischen Ärztemangel.
In
Mecklenburg-Vorpommern oder in der Sächsischen Schweiz beispielsweise
lässt sich bereits kaum ein Mediziner nieder, weil er dort mit nur
geringen Verdienstmöglichkeiten rechnet. Ein weiterer Grund dafür, dass
in deutschen Krankenhäusern ab Januar 2005 die Weißkittel fehlen
könnten, ist das neue Arbeitsgesetz, wonach der Bereitschaftsdienst
künftig als Arbeitszeit gelten muss.

So sieht es zumindest die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)
,
die vor einem „massiven Personalnotstand“ warnt. Die neue Regelung
dürfe nicht in Kraft treten. Andernfalls brauche man bis zu 27.000
zusätzliche Ärzte. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB)
bezeichnete diese Zahl nach Angaben der Tageszeitung Die Welt als "Lüge". Mit geeigneten Arbeitszeitmodellen seien maximal weitere 7.000 Ärzte nötig.

Doch es könnte für die Ärzte noch schlimmer kommen. Im Spiegel
sagte
der Mediziner und Gesundheitsforscher Matthias Schrappe einen „Abschied
vom Halbgott in Weiߓ voraus. Die Forderungen der Klinikärzte, 30
Prozent mehr Gehalt zu bekommen, hält Schrappe nicht nur für völlig
irreal, sondern auch für den Ausdruck einer tiefen Identitätskrise.
„Das Selbstverständnis des ärztlichen Berufs ist in Frage gestellt“, so
der Mediziner, der seit September 2005 als hauptamtlicher Dekan an der
Universität Witten-Herdecke
tätig ist.

Heute
fehlten den jungen Ärzten die Zukunftsperspektiven. Wegen der
Zulassungsbeschränkungen sei die Gründung einer lukrativen
Großstadtpraxis kaum möglich. Und als Facharzt im Krankenhaus gebe es
immer weniger Aufstiegsmöglichkeiten, da nur 10.000 Chefarztpositionen
zu vergeben sind.

„Das gesamte Gesundheitssystem steht vor
gewaltigen Umwälzungen“, betont Michael Sander, Geschäftsführer des
Lindauer Beratungsunternehmens TCP Terra Consulting Partners GmbH.

Der Arztberuf im Krankenhaus wird immer mehr zu einer ganz normalen
Dienstleistung. Das ist keine Welt à la Schwarzwaldklinik, wo es
Halbgötter in Weiß und eine Menge Amouren und Romanzen gibt.
Krankenhausärzte von heute müssen Dienstleistungen unter den Aspekten
Transparenz und Qualitätssicherung erbringen“.

Hinzu kommt die
Not mit dem lieben Geld. Deutsche Krankenhausärzte beziehen ein
Jahresgehalt von 56.455, französische eins von 116.077, niederländische
verdienen 175.155 und amerikanische sogar 267.993 US-Dollar. Neben den
im Vergleich geringen Jahresgehältern deutscher Krankenhausärzte und
dem grassierenden Imageverlust wirft die streng hierarchische Ordnung
in deutschen Krankenhäusern Probleme auf.

„Hier handelt es
sich um ein klassisches Führungsproblem. Sicherlich muss heute der
kleine Krankenhausarzt nicht mehr am Wochenende das Auto des Chefarztes
waschen. Doch nicht nur Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende der
Ärztegewerkschaft Marburger Bund, spricht von Zuständen wie im
preußischen Feldlazarett. Eine bessere und modernere Personalführung
würde es den Fachärzten in den Kliniken deutlich erleichtern,
vielleicht 30 Jahre in einem Haus zu bleiben, ohne jemals Chefarzt zu
werden. Wenn hoher Arbeitsstress, vergleichsweise geringe Verdienst-
und Aufstiegsmöglichkeiten und ein schlechtes soziales Klima zusammen
kommen, wirkt das nicht eben motivierend“, lautet die Einschätzung von
Marc Emde, Mitglied der Geschäftsführung der Kirch Personalberatung
in Köln.

Die
Zukunftsaussichten sind allerdings nicht sehr rosig: Schrappe
prognostiziert, dass noch ein langer schwelender Konflikt zu erwarten
sei.


WANC 08.11.05
 
 
 
 
 
 
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