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Unsere Gesundheitsversorgung muss für die zukünftigen Anforderungen zukunftsfest gemacht werden - dazu gehört die bessere Zusammenarbeit von Ärzten in der Praxis und dem Krankenhaus (Foto: Stock photo)
> Gesundheits-Gutachten: Versorgung besser integrieren
Der Sachverständigenrat zur
Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat sein Gutachten
vorgelegt. Dabei stellt er vor allem bei Kindern und älteren Menschen
Defizite in der Sicherheit und den nachweisbaren Wirkungen von
Arzneimitteltherapien fest. Mängel macht er darüber hinaus in der
medizinischen Versorgung an der Schnittstelle zwischen niedergelassenen
Ärzten und dem Krankenhaus aus. Als einen der Hauptunkte der
Verbesserung nennt das Gutachten denn auch die bessere Integration der
Versorgungsprozesse.
Bei der insgesamt gut ausgebauten Arzneimittelversorgung für Kinder in
Deutschland bestehen Defizite der Struktur- und Prozessqualität auf den
Stufen Entwicklung, Zulassung und Anwendung. Seltene
(Kinder-)Krankheiten (orphan diseases) sind therapeutisch und
pharmazeutisch zu wenig erforscht. Notwendig erscheint eine
Verbesserung der materiellen Anreize für die pharmazeutische Industrie.
Auf der Ebene der Anwendung findet sich (immer noch) ein unbegründet
breiter Einsatz von Psychostimulanzien sowie von Antibiotika bei
Virusinfekten. Trotz zunehmender Kapazitäten der psychotherapeutischen und
psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen berichtet der
Sachverständigenrat über vielfache Unterversorgung. Doch auch für
regionale Überversorgung fänden sich Anzeichen. Der Bericht stellt
fest, dass unter den psychischen Störungen des Kinder- und Jugendalters
das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) wegen seiner
relativ großen Verbreitung sowie seiner (gemessenen) Zunahme einen
besonderen Stellenwert belegt. Er beklagt aber auch die Fragwürdigkeit
einseitig medikamentöser Therapien.  Und fordert neben der
Unterstützung der Eltern und der Weckung von Verständnis für die
Betroffenen – ein leichterer Zugang zu multimodalen inkl.
verhaltenstherapeutischen Hilfen. Die Zahl älterer und alter Patienten mit Mehrfacherkrankungen nimmt in
allen Versorgungsbereichen zu. Multimorbidität ist mehr als die Summe
einzelner Erkrankungen und kann z.B. mit Inkontinenz, kognitiven
Defiziten, Immobilität, Sturzgefährdung und Schmerzen einhergehen.
Trotz der steigenden Bedeutung der Mehrfacherkrankungen – ca. zwei
Drittel der über 65-Jährigen weisen mindestens zwei chronische
Erkrankungen auf – gibt es nur sehr wenige Leitlinien, die sich auf
ältere Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen beziehen. Der Bericht fordert Leitlinien für Patienten mit Mehrfacherkrankungen,
um das individuelle Setzen von Behandlungsprioritäten zu unterstützen.
Die Implementierung der Leitlinien erfordere eine Einbindung in Aus-,
Fort- und Weiterbildung und in die Qualitätssicherung sowie finanzielle
Anreize und eine ständige Überwachung der tatsächlichen
Umsetzungserfolge. Multimorbidität führt zu vermehrten Arztkontakten, häufigeren und
längeren Krankenhausaufenthalten sowie einer steigenden Zahl von
Arzneimittelverordnungen (Polypharmazie). So erhalten etwa 35% der
Männer und 40% der Frauen über 65 Jahre neun und mehr Wirkstoffe in
Dauertherapie. In diesem Kontext bilden unerwünschte
Arzneimittelwirkungen ein Kernproblem der Versorgung alter Menschen. Um die Arzneimittelsicherheit bei älteren Menschen zu erhöhen, schlägt
der Beirat den Einsatz von Listen mit problematischen Arzneimitteln
vor. Arzneimittel sollten in randomisierten und kontrollierten Studien
(RCTs) an den Patientenpopulationen geprüft werden, die diese
Arzneimittel nach der Zulassung im Rahmen ihrer Behandlung benötigen. Die Nachhaltigkeit der hausärztlichen Versorgung sie der
Sachverständigenrat infolge drohenden Nachwuchsmangels nicht gesichert.
Dabei kämen mit dem demografischen Wandel sowie der Veränderung des
Krankheitsspektrums der Bevölkerung auf die primärmedizinische
Versorgung der häufigsten Gesundheitsprobleme besondere
Herausforderungen zu. Das Gutachten enthält zahlreiche Empfehlungen zur
Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen hausärztlichen
Primärversorgung, die von der Aus-, Weiter- und Fortbildung bis zur
Kooperation mit anderen Berufsgruppen reichen. Das Gutachten sieht die Schnittstelle zischen dem ambulanten und dem
stationären Sektor als Hauptangriffspunkt aller Reformbestrebungen.
Mangels adäquater Rahmenbedingungen konstatiert es gerade in hier
derzeit eine ineffiziente und ineffektive Konkurrenz. Zur Realisierung
eines funktionsgerechten Wettbewerbs zwischen den Fachärzten und den
Krankenhäusern bedürfe es u.a. einer Vereinheitlichung der
Qualitätsstandards, der Vergütung einschließlich der
Investitionsfinanzierung und der Genehmigung neuer Behandlungsmethoden. Die Ausweitung der Primär- und die Reform der fachärztlichen Versorgung
werden den Anteil und die Bedeutung der ambulanten Arzneimitteltherapie
künftig noch erhöhen, betont das Gutachten. Dies verstärke die
Notwendigkeit, die Arzneimitteltherapie unter Beteiligung der Apotheken
in eine fachübergreifende Zusammenarbeit der verschiedenen
Versorgungsbereiche zu integrieren. Bei Einbindung in ein
sektorübergreifendes Versorgungsnetz können,  die Apotheken die
Verantwortung für Qualität und Wirtschaftlichkeit der
Arzneimitteltherapie stärker als heute übernehmen. Änderungsvorschläge: • Anreize sollten für alle Leistungserbringer so gesetzt, dass sie ein
eigenes Interesse an einer effizienten und effektiven Versorgung zum
Wohle des Patienten besitzen. Dabei gehe es u.a. um die Verlagerung des
finanziellen (Teil-)Risikos auf die Leistungserbringer, d.h. zwischen
payer und provider, sowie um prospektive Pauschalvergütungen bzw.
Capitation. Dies soll erwünschte Entwicklungen im Hinblick auf die
Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen und Institutionen, die
jeweilige Rolle von Primär- und Sekundärversorgung, auf angemessene
Formen des Gatekeeping und die Implementierung von Qualitätswettbewerb
auslösen bzw. verstärken. • Unerwünschten Anreizwirkungen sollen von vornherein mit gezielter
Qualitätssicherung, hoher Transparenz und einer Stärkung der
Patientenrechte entgegen gewirkt werden. • Im Rahmen einer koordinierten Versorgung mit regionalem Bezug nehmen
wohnortnahe Primärversorgungspraxen eine Schlüsselrolle ein. Das
umfasst u. a. Vergütungs- und Honorierungssysteme, die stärker auf die
Kontinuität der Versorgung und die Erreichung von mittel- bis
langfristigen versicherten- bzw. populationsbezogenen Versorgungszielen
abstellen. Da eine flächendeckende hausärztliche Versorgung in
strukturschwachen ländlichen Räumen, derzeit vor allem in den
ostdeutschen Bundesländern, gefährdet erscheint, bedürfe die Versorgung
in diesen Regionen einer speziellen Ausgestaltung. Hier bieten sich
laut Gutachten Konzepte sowohl einer dezentralen als auch einer
zentralen hausärztlichen Versorgung sowie eine veränderte
Arbeitsteilung der Leistungssektoren an. • Zur langfristigen Sicherung einer umfassenden Versorgung, die sich an
den generationenspezifischen Bedürfnissen orientiert, gelte es
prospektive Pauschalvergütungen mit gezielten Anreizen
(pay-forperformance) zu erproben. Eine Mischung von Vergütungselementen
könnte die potenziellen Nachteile einer pauschalierten Honorierung, wie
z. B. mangelnde Anreize für eine intensive Betreuung und qualitativ
hochwertige Versorgung, teilweise neutralisieren. Zudem sollte die
Honorierung u. a. auch die Koordinationsarbeit der nichtärztlichen
Mitglieder des Versorgungsnetzes, u.a. auch die der Apotheken, und die
Risikostruktur der Versicherten angemessen berücksichtigen. • Das zentrale zur Verbesserung der Versorgung macht das Gutachten an
den Schnittstellen der Leistungssektoren und hier vor allem im Bereich
der Sekundärversorgung aus. Eine effiziente sektorübergreifende
Versorgung lasse sich durch ein gemeinsames Budget und eine
sektorübergreifende Pauschale für alle Leistungserbringer realisieren. • Die Integration der Versorgungsprozesse nähme auch zu, wenn eine
Einheit von Leistungserbringern ein umfassendes Angebot an präventiven
und therapeutischen Leistungen in einer Region anzubieten vermag. Die
Entscheidung über die gewünschte Organisationsform sollten im Rahmen
von Wettbewerbsprozessen letztlich die Versicherten und Patienten in
der jeweiligen Region treffen. • Um die nachhaltige Sicherung einer qualitativ hochwertigen Versorgung
in dünn besiedelten strukturschwachen Gebieten aufrecht zu erhalten,
sind nach Ansicht der Gutachter den bisherigen Beschlüssen der
Bundesregierung und einigen weiteren Empfehlungen in diesem Gutachten,
die auf finanzielle und nicht-monetäre Anreize setzen, die
Unterstützung durch die Landes- und Raumplanung notwendig. WANC 01.07.09/Quelle: Gutachten 2009 „Koordination und Integration –
Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens“, Der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
 
 
 
 
 
 
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