Gestresste Frau
Medikamentensucht: Viele nehmen Schlaf- und Beruhigungsmittel auch ein, um die alltäglichen Belastungen besser bewältigen zu können (Foto: TK)
> Medikamente: Die große Sucht

Die Studie der Deutschen
Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) kommt zu dem Ergebnis, dass es
geschätzte 1,4 bis 1,9 Mio. Medikamentenabhängige in
Deutschland gibt. Die größte Gruppe der Betroffenen, über
1 Million Menschen, ist abhängig von Schlaf- und
Beruhigungsmitteln aus der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine. Manche
beginnen ihre Schlucker-Karriere bereits im Kindesalter, betroffen
sind vor allem Frauen.


Die Drogenbeauftragte der
Bundesregierung Sabine Bätzing, MdB, warnt:
"Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit ist in
Deutschland ein Massenphänomen. Es muss mehr getan werden, um
die Betroffenen zu erreichen und ein öffentliches Bewusstsein
für die Problematik zu schaffen."



Die Studie der DHS
identifiziert vor allem Frauen als Suchtopfer, insbesondere in
höherem Alter. Sie erhalten mehr problematische Medikamente
verordnet und nutzen diese auch häufiger. Allerdings
Beruhigungsmittel gerade in höherem Alter wegen ihrer
muskelentspannenden Wirkung auch zu schweren und komplikationsreichen
Stürzen führen.



Viele Frauen nehmen Schlaf-
und Beruhigungsmittel auch ein, um die alltäglichen Belastungen
in Familie, Partnerschaft und Beruf besser bewältigen zu können.
Dabei gelingt es ihnen oftmals über lange Zeit, ihre Krankheit
verborgen zu halten und im Alltag den Schein der Normalität
aufrecht zu erhalten. Laut Studie ist es auch deshalb besonders
schwierig, die betroffenen Menschen über die Gefahren des
Langzeitkonsums durch gezielte Aufklärungsmaßnahmen zu
erreichen.



Die offizielle Zahl von 1,4
bis 1,9 Mio. Medikamentenabhängigen ist nach Ansicht von
Experten allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Den wegen der hohen
Dunkelziffer liegt die tatsächliche Zahl der Betroffenen
wahrscheinlich wesentlich höher. Nach Beobachtungen hat der
Umfang des Missbrauches in den letzten 15 Jahren enorm zugenommen.
Bei manchen beginnt die Schlucker-Karrieren schon im Kindesalter.
Fast ein Drittel der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren
soll schon mehr oder weniger häufig zu Pillen greifen: 21
Prozent zu Schlaf- und Beruhigungsmitteln und 60 Prozent zu
Aufputschpräparaten.



Bätzing: „Dies ist
eine alarmierende Zahl. Damit erreicht die Medikamentenabhängigkeit
in Deutschland ein vergleichbares Ausmaß wie die
Alkoholabhängigkeit. In der breiten Öffentlichkeit wird
diese Krankheit jedoch nur wenig wahrgenommen. Es ist mir daher ein
besonderes Anliegen, dass dieser Form der Sucht mehr Aufmerksamkeit
geschenkt wird und die Betroffenen von Aufklärungsmaßnahmen
besser erreicht werden. Eine große Bedeutung kommt dabei auch
den Ärzten und Apothekern zu, da sie die Verschreibung bzw. den
Vertrieb der Medikamente kontrollieren. Ich begrüße
ausdrücklich die laufenden Aktivitäten der
Bundesärztekammer, die sich dieses Themas angenommen hat."



Die Bundesärztekammer
wird voraussichtlich Ende dieses Jahres den Leitfaden "Schädlicher
Gebrauch und Abhängigkeit von Medikamenten"
veröffentlichen. Dieser richtet sich an die Ärzte und soll
ihnen umfangreiche Hinweise zur Verschreibung von Medikamenten mit
Missbrauchspotential an die Hand geben.



WANC 14.11.06

 
 
 
 
 
 
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