Angststörung: Orte vermeiden, aus denen man schwer wieder herauskommt (Foto: DAK/WIgger)
> Angststörungen: Wenn der Wachhund des Gehirns nicht richtig funktioniert

Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge leiden etwa zehn Prozent der Bevölkerung in den westlichen Industrienationen an Angststörungen. Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung lassen vermuten, dass bei den Betroffenen der "Wachhund" des Gehirns über die Stränge schlägt, weil die Funktion einer bestimmten angsthemmenden Region des Stirnhirns verändert ist. 

Bei Angststörungen "handelt es sich zum einen um die 'Panikstörung', bei der die Betroffenen aus heiterem Himmel und ohne ersichtlichen Grund Angstanfälle erleiden", erklärt Dr. Sabine Windmann. Die Anfälle, während derer die Patienten nicht selten Todesangst haben, sind von starken körperlichen Symptomen begleitet wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel und Übelkeit.

Der Anfall dauert meist nur wenige Minuten und klingt von allein wieder ab; Erschöpfung und Verunsicherung bleiben aber. "Manche Patienten laufen von Arzt zu Arzt, weil sie überzeugt sind, einen Herzfehler oder eine andere lebensbedrohliche Erkrankung zu haben. Viele verändern ihr Leben: Sie meiden Orte und Situationen, aus denen sie schwer wieder herauskommen, wie z.B. Aufzüge und Warteschlangen, oder keine Hilfe bekommen können", beschreibt Windmann.

Anders als bei der Panikstörung leiden Patienten mit einer "generalisierten Angststörung" unter einem kontinuierlichen Angstgefühl, das von starker physischer und psychischer Unruhe begleitet ist. Die Patienten machen sich übermäßig große Sorgen, beispielsweise über ihre Familie oder ihre Zukunft, sind ausgesprochen nervös, grübeln viel, können sich nicht konzentrieren, schlafen schlecht, sind verspannt oder neigen zu psychosomatischen Beschwerden. Auch bei dieser Störung ist die Ursache unklar und der Leidensdruck hoch.

Seit einiger Zeit wendet sich neben der traditionellen Psychiatrie auch die moderne Hirnforschung diesen Erkrankungen zu. "Wir vermuten, dass bei Angstpatienten ein bestimmter Prozess im Gehirn verändert ist im Sinne einer Überaktivität", erläutert Windmann. "Dieser Prozess benimmt sich bei jedem Menschen wie der Wachhund des Gehirns: Er warnt den Organismus vor Angst und Gefahren, indem er körperliche und psychische Angstsymptome auslöst."

Normalerweise wird dieser Ablauf durch das Stirnhirn gehemmt, das direkt über den Augenhöhlen liegt. Diese Hemmung läuft völlig unbewusst konstant ab, etwa wie das Atmen. Vielleicht fällt diese Hemmung bei Angstpatienten zu schwach aus, ist falsch eingestellt oder fällt gelegentlich aus.

Mit einem einfachen Kartenspiel lässt sich die Funktion des "Angsthemm-Systems" auf indirekte Weise messen. Dabei ziehen die Probanden Karten von vier Stapeln. Die Karten sind mit Gewinnen und Verlusten verbunden, die miteinander in Konflikt stehen. Gespielt wird nach Intuition, nicht nach Strategie. Das Spiel ist kurz und amüsant und erfordert keine gedankliche Leistung. Die Art, wie sich der Spieler ganz spontan verhält, gibt Aufschluss darüber, wie er Erwartungen von positiven Ereignissen einerseits und Risiken und Gefahren andererseits aufbaut und diese (unbewusst) kontrolliert.

An der Ruhr-Universität Bochum findet noch bis Ende Mai eine Studie statt, die dieses Verfahren zum ersten Mal bei Angstpatienten anwendet, um die Möglichkeiten der Angsthemmung bei diesen Patienten zu spezifizieren. Darüber hinaus wollen die Forscher das Spielverhalten der Patienten mit ihren individuellen Angstsymptomen in Beziehung setzen.

Daraus erhoffen sie sich Hinweise auf die verantwortliche Hirnregion und die Ursache für Angsterkrankungen: Ist der Wachhund zu "scharf", die Angsthemmung zu gering, oder fehlt ein gesundes Ausmaß an Optimismus im Umgang mit Risiken? Bei Interesse werden die Ergebnisse der Studie den Teilnehmern schriftlich mitgeteilt. Außerdem können die Forscher Kontakt zu einer Selbsthilfeeinrichtungen sowie zu einer wissenschaftlich fundierten verhaltenstherapeutischen Behandlung an der Ruhr-Universität vermitteln.

PD Dr. Sabine Windmann, Abteilung für Biopsychologie, Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, GAFO 05, Tel. 0234/32-28791, Fax 0234/32-14377, E-Mail: sabine.windmann@rub.de

WANC 14.04.05
 
 
 
 
 
 
powered by webEdition CMS