> Multiple Sklerose: Hoffen auf Fumarsäure
Der Wirkstoff Fumarsäure kann anscheinend die Schubrate bei der Multiplen Sklerose (MS) annähernd halbieren und auch die MS-typischen Schädigungen des Gehirns deutlich reduzieren. Die Daten aus Studien zeigen auch, dass die Nebenwirkungen eher gering ausfallen. Aber zugelassen ist das Medikament noch nicht.

„Insbesondere die Kombination aus hoher Wirksamkeit und Sicherheit machen das Medikament zu einer interessanten Behandlungsoption“, lobt Prof. Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik (St. Josef Hospital) in Bochum und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Noch sei das erfolgreich getestete Fumarsäure-Präparat „BG-12“ nicht für die Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen, schränkt Gold ein. Das Vorgängerprodukt Fumaderm® werde jedoch seit mehreren Jahren in einigen europäischen Ländern zur Behandlung der Schuppenflechte (Psoriasis) eingesetzt, was das Verfahren womöglich beschleunigen könnte.

Studie belegt Wirkung
In 28 Ländern haben 1234 Patienten mit schubförmiger MS und leichten bis mittelschweren Behinderungen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren an einer Studie teilgenommen. Nach dem Losverfahren erhielten diese Freiwilligen entweder BG-12 oder ein Scheinmedikament. Nach zwei Jahren hatten Patienten, die BG-12 zweimal täglich einnahmen, 49 Prozent weniger Schübe erlitten, und bei dreimaliger Einnahme der Arznei 50 Prozent weniger im Vergleich zu dem Scheinmedikament. Die Auswertung zeigte auch einen erheblichen Unterschied beim Anteil der Patienten, bei denen ein Schub beobachtet worden war: Unter BG-12 waren es neun Prozent gewesen, mit dem Scheinmedikament dagegen 15 Prozent.

Nebenwirkungen mild und vorübergehend
Zwar hatten etwa 95 Prozent der Teilnehmer Nebenwirkungen bemerkt, die waren jedoch mit der Studienarznei ähnlich häufig wie dem Scheinmedikament aufgetreten. Im gesamten Studienzeitraum war es weder zu medikamentenbezogenen Todesfällen oder Krebserkrankungen gekommen, noch wurden vermehrt Infektionen beobachtet, wie dies bei drei anderen neu entwickelten Wirkstoffen gegen MS der Fall war. Lediglich die Nebenwirkungen Hautrötungen, Durchfall, Übelkeit und Magenschmerzen waren mit BG-12 häufiger aufgetreten als unter Placebo. Aber auch diese Beschwerden sind  vorwiegend in den ersten 30 Behandlungstagen aufgetreten und dann zurückgegangen.

„Daraus schließen wir, dass BG-12 eine therapeutische Option für Patienten mit schubförmiger MS sein könnte, mit ordentlicher Wirksamkeit, guter Verträglichkeit und einem exzellenten Sicherheitsprofil“, sagt Gold.

Der Wirkmechanismus der Arznei ist noch nicht vollständig aufgeklärt, jedoch scheint es nicht nur eine dämpfende Wirkung auf die überschießende Immunreaktion bei MS zu haben, sondern auch Nervenzellen zu schützen. Darauf deuten Ergebnisse der Magnetresonanztomographie (MRT) hin, die im Rahmen der DEFINE-Studie ebenfalls erhoben wurden und die einen starken Rückgang der MS-typischen Läsionen im Gehirn belegen. Die Zahl neuer Läsionen verringerte sich bei täglich zweimaliger Gabe von BG-12 um 85 Prozent, die Gesamtzahl sogenannter Gadolinium-verstärkter Läsionen um bis zu 90 Prozent.

Tabletten statt Spritzen
Bei der Behandlung der Multiplen Sklerose haben sich zwar bestimmte Formen von Interferon ebenso wie Glatirameracetat bewährt, weil sie die Schubrate bei der relapsierend-remittierenden Form der Krankheit eindeutig reduzieren können. Allerdings müssen diese Substanzen regelmäßig gespritzt werden. Experten hoffen schon seit Jahren auf weniger belastende Medikamente, die in Form von Pillen geschluckt werden könnten. Mit dem Wirkstoff Fingolimod wurde im April 2011 erstmals eine Kapsel zum Einnehmen zugelassen, doch eignet sich diese Substanz nur für Patienten mit schweren Verlaufsformen der MS, erklärt Gold: „Deshalb wäre es ein erheblicher Fortschritt wenn die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von BG-12 in weiteren Studien bestätigt würde und wir unseren Patienten eine Behandlung in Tablettenform anbieten könnten, ohne die einfachere Handhabung durch ein höheres Risiko erkaufen zu müssen.“

Fumarsäure ist eine Substanz, die in größeren Mengen in Pflanzen, Pilzen und Flechten vorkommt. Namensgeber ist der Gewöhnlichen Erdrauch (Fumaria officinalis), der größere Mengen der Säure enthält. Weitere Anwendungsgebiete finden sich in der Lebensmittelindustrie, wo Fumarsäure als Säurungsmittel E 297 zugelassen ist. Auch in der Schweineaufzucht wird Fumarsäure als Futterzusatz für Ferkel genutzt um damit den pH-Wert im Darm aufrechtzuerhalten und E. coli-bedingten Infektionen vorzubeugen.

08.11.2011/ Quelle: DEFINE-Studie (Determination of the Efficacy and safety of oral Fumarate IN rElapsing-remitting MS),  ECTRIMS-Kongress
 
 
 
 
 
 
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