Darmkrebs-Früherkennung: Nutzen und Schaden unklar

Je früher eine Krebserkrankung entdeckt wird, desto besser lässt sie sich behandeln. Das ist das Credo im deutschen Gesundheitswesen, deshalb bezahlen die Krankenkassen Früherkennungsuntersuchungen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht, ob Menschen, die jünger als 55 Jahre sind und in deren Familien bereits ein Mitglied an Darmkrebs erkrankt ist, von einem derartigen Screening profitieren können. Das bisherige Ergebnis: Nutzen und Schaden einer Früherkennung ist unklar.

Ein Kolorektalkarzinom ist in Deutschland die zweithäufigste Krebserkrankung sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Etwa ein Viertel  dieser Fälle treten zwar familiär gehäuft auf - wird also vererbt. Eine genaue  genetische Ursache lässt sich jedoch nur bei etwa 5% der Erkrankungen feststellen ("hereditäre" Form). Um Darmkrebs möglichst früh zu entdecken, können Krankenversicherte im Alter von 50 bis 54 Jahren einen Stuhltest (Okkultbluttest) und bei auffälligem Befund eine große Darmspiegelung (Koloskopie) durchführen lassen. Ab dem Alter von 55 Jahren besteht das Wahlrecht alle zwei Jahre einen Stuhltest oder eine große Darmspiegelung in Anspruch zu nehmen.

Mit dem neuen Krebsplan-Umsetzungsgesetz sollen die bisherigen Altersgrenzen aufgehoben werden. Stattdessen sollen gefährdete Personen früher oder häufiger eine Früherkennungsuntersuchung vornehmen lassen können. Doch nutzt eine solche Einrichtung überhaupt etwas?

Immerhin, eines ist sicher: Das Risiko besteht. Das IQWiG hat festgestellt, dass Menschen unter 55 Jahren mit mindestens einem Fall von Darmkrebs bei Verwandten ersten Grades ein 1,7 bis 4,1-fach höheres Risiko tragen, ebenfalls an Darmkrebs zu erkranken, als Menschen gleichen Alters, in deren Verwandtschaft Darmkrebs bislang nicht aufgetreten ist. Das Risiko scheint um so höher zu sein, je jünger die betroffenen Patienten und je jünger die erkrankten Eltern sind. Ob Fragebögen und Interviews in der Lage sind, dieses Risiko zu entdecken, daran gibt es zumindest Zweifel. Das liegt aber vor allem daran, dass es bisher keine wirklichen Daten darüber gibt, was derartige Befragungen überhaupt bringen.

Unklar bleibt auch, ob ausgeweitete Screeningmaßnahmen in der Lage sind, Patienten besser zu behandeln und Menschenleben zu retten. Zurückzuführen ist diese Einschätzung ebenso auf fehlende bzw. wenig aussagekräftige Daten.   Denn selbst für Menschen, bei denen bereits ein höheres Risiko für Darmkrebs festgestellt wurde, liegen noch keine Studienergebnisse zum Nutzen von Screeningmaßnahmen vor.

Das IQWiG stellt deshalb die Frage, ob eine sogenannte risikoadaptierte Screeningstrategie überhaupt eingeführt werden sollte. Denn solche Tests haben nicht nur Potenzial für einen Nutzen, sondern auch für einen Schaden, stellt das Institut fest. Ein Schaden könne u.a. darin bestehen, dass Personen fälschlicherweise der Risiko-Gruppe zugeordnet werden, was für sie unnötig psychisch belastend sein kann. Das ist das Problem der Überdiagnose. Nur ein kleiner Teil der herausgeschnittenen gutartigen Vorstufen entwickelt  sich im Darm später zu einem Karzinom.

Doch das sind nicht die einzigen Risiken, die die für eine Darmkrebs-Vorsorge laufende PR-Maschinerie sorgsam verschweigt. Insbesondere die Koloskopie wird kritisiert. Nicht nur, weil sie unangenehm, aufwändig und teuer ist. Sie kann auch gefährlich sein, weil sich der Patient durch Keime von anderen Patienten infizieren kann oder Blutungen dadurch entstehen, dass der Schlauch die Wand des Darms durchstößt. Und dadurch kann ein Karzinom wachsen, wo bisher gar nichts war.

In anderen Ländern hat man sich beispielsweise anders entschieden. So sagen
Schweizer Gesundheitsbehörden, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausreichen, um eine Darmkrebsvorsorge für alle zu rechtfertigen. Und das ist das Problem: Eine wirkliche Nutzen-Risiko-Abwägung besteht für kaum eine Krebsvorsorgeuntersuchung. Und warum in Deutschland so sehr für die Koloskopie geworben wird, ist auch nicht ganz verständlich. Denn die Sigmoidoskopie, eine Spiegelung des unteren Darmabschnitts, ist preisgünstiger und weniger risikobehaftet.

Berliner Ärzteblatt 19.09.2012/ Quelle: Vorbericht S11-01, Früherkennungsuntersuchung bei familiärem Darmkrebs

Weitere Informationen:
Krebsbekämpfung: Bundesregierung will Vorsorge und Therapien verbessern
Darmkrebs-Vorsorge: Immer weniger gehen hin
Früherkennung: Nutzen völlig überschätzt
Vorsorgeuntersuchungen: Welche – Wann?
Krebsvorsorge: Nicht alles ist sinnvoll





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/darmkrebs_19_09_12.php
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