Foto: obs/Novartis
Mammographie eines Brusttumors: Der Nutzen eines Screenings wird aber falsch eingeschätzt, die Aufklärung fehlt (Foto: obs/Novartis)
> Früherkennung: Nutzen völlig überschätzt
Was nutzt Früherkennung? Gibt es auch
Gefahren von Folgeschäden? Bürger in ganz Europa sind völlig
überfordert, wenn es um die Beurteilung dieser Fragen geht. Zumeist
wird der Nutzen von Früherkennung völlig überschätzt. Ein Grund: Die
Zusammenhänge sind nicht klar. Ein anderer: Wirklich präzise und
erklärende Informationen fehlen. Auch Ärzte und Apotheker versagen bei
der Aufklärung. Damit bleiben der Anspruch von der Selbstbestimmung und
eigenverantwortlicher Entscheidung nur leere Worte. Frage: Will das
jemand?
Europäer erweisen sich als mangelhaft informierte Optimisten in Sachen
Früherkennung – allen voran die Deutschen. So fanden die
Wissenschaftler des Harding Center for Risk Literacy (Harding-Zentrum
für Risikokompetenz) und  der Gesellschaft für Konsumforschung
(GfK-Nürnberg e. V.) heraus, dass 92 % aller befragten Frauen den
Nutzen der Mammografie als Mittel zur Vermeidung einer tödlich
verlaufenden Brustkrebserkrankung überschätzen - oder gar keine Angaben
dazu machen können. Und 89 % aller Männer versprechen sich zu viel vom
PSA-Test im Hinblick auf die Reduktion des Risikos einer tödlich
verlaufenden Prostatakrebserkrankung  - oder erkennen ihr Unwissen
zu diesem Thema. Aber wie sieht es tatsächlich um den Nutzen etwa bei der Mammografie
aus? Frühere Untersuchungen haben ergeben, dass von 1.000 Frauen, die
nicht am Sreening teilgenommen haben, in einem Zeitraum von ca. 10
Jahren etwa 5 an Brustkrebs sterben; bei einer zweiten Gruppe von
ebenfalls 1.000 Frauen, die sich für die Früherkennung entschieden
haben, verringert sich diese Zahl auf 4. In vielen Informationsbroschüren wird dieser Sachverhalt in die Aussage
übersetzt, dass die Mammografie eine Risikoreduktion um 20 % ermögliche
(mitunter werden auch 25 % oder 30 % angegeben). Häufig schließen
Frauen daraus, dass durch Mammografie 200 von 1.000 Frauen „gerettet“
werden. Die jetzt präsentierte Studie zeigt: In Deutschland wissen
gerade einmal 0,8 % der Frauen, dass Früherkennung die
Brustkrebssterblichkeit um etwa eine von je 1.000 Frauen reduziert –
das ist europäischer Tiefstwert. Dafür sind die Deutschen, Männer wie Frauen, „Prospekt-Europameister“:
41 % der Befragten informieren sich häufig durch Broschüren von
Gesundheitsorganisationen – der europäische Durchschnitt liegt hier bei
21 %. Jene Deutschen, die solche Informationsquellen häufig zu Rate
ziehen, sind aber keineswegs besser informiert als andere. Vielmehr
überschätzen sie den Nutzen der Früherkennung noch etwas mehr als jene,
die die Broschüren nicht lesen. Menschen im Alter von 50-69 Jahren, die
besonders gefährdet sind und daher die wichtigste Zielgruppe des
Informationsmaterials darstellen, sind keineswegs besser im Bilde als
andere Altersgruppen. Sind Menschen, die häufiger Ärzte oder Apotheker konsultieren, dagegen
besser über den Nutzen der Früherkennung informiert? Die Antwort:
„Nein“. Insbesondere deutsche Frauen, die ihr Wissen zum Thema
Früherkennung bevorzugt aus Gesprächen mit Ärzten und Apothekern
beziehen, sind nicht etwa zu einer deutlich genaueren Einschätzung in
der Lage, sondern zeigen sich sogar schlechter informiert als andere,
die sich weniger bei Ärzten oder Apothekern erkundigen. Die möglichen Ursachen dafür sind aus anderen Studien des
Max-Planck-Instituts bekannt und liegen im medizinischen Aus- und
Weiterbildungssystem begründet. Dieses versagt weitgehend bei der
Aufgabe, Ärzte darin zu schulen, die statistischen Ergebnisse
wissenschaftlicher Studien zu verstehen und zu vermitteln. Und auch die
Schulen lehren vornehmlich die „Mathematik der Sicherheit“, also
Gebiete wie Algebra oder Trigonometrie, und führen nicht in
statistisches Denken ein, das auf den Umgang mit den Risiken einer
unsicheren Welt vorbereiten könnte. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sprach einmal vom Ziel, dass
Patienten und Ärzte „auf Augenhöhe“ miteinander sprechen sollen. Die
europaweite Studie zeigt, dass einem das Erreichen dieses Ziels im
Moment noch wie ein Traum vorkommen muss; ein schöner Traum zwar – aber
eben ein Traum. WANC 12.08.09/ Quelle: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
 
 
 
 
 
 
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