> Radioaktivität: Selbst in kleinsten Mengen gefährlich

Radioaktive Strahlung kann unser Leben bedrohen. Und das wissen wir alle nicht erst seit Tschernobyl und Fukushima. Allerdings steht immer die Frage im Raum, ab wann es denn richtig gefährlich wird? Also ab welcher Strahlungsmenge der Mensch mit negativen Folgen für seine Gesundheit rechnen muss. Wissenschaftler der Universitäten von South Carolina und Paris-Sud haben jetzt eine Antwort parat, die nicht gerade fröhlich stimmt: Sogar eine kleine Menge radioaktiver Strahlung schadet schon.

Abgewiegelt wird gerne. In Novo Argumente schreibt der Autor Lutz Niemand in seinem Beitrag "Radioaktivität: Kleine Dosis, große Angst": "Ein Schaden tritt immer nur dann ein, wenn die Dosis hoch ist und wenn diese in kurzer Zeit einwirkt." Und: "Bei kleiner Dosis unterhalb einer Schwellendosis gibt es keine Schäden, der Organismus kann sich erfolgreich wehren, das wusste schon Paracelsus." Im Weiteren des Artikels liest man dann noch: "Die überzogenen Grenzen für Radioaktivität werden bei Kernkraft kaum überschritten, die ebenso überzogene Grenze bei Alkohol laut MAK-Liste wird täglich von einigen zig Millionen Menschen in Deutschland überschritten. Durch Radioaktivität kommt niemand zu Schaden, Alkohol fordert täglich Opfer."

Ist es wirklich so, dass durch geringste Mengen Radioaktivität niemand zu schaden kommt? Wenn man der neuesten Untersuchung folgt, dann muss man daran zweifeln. Analysiert haben die Wissenschaftler 46 Untersuchungen der letzten 40 Jahre zu dem Thema. Darin geht es auch um die Auswirkungen der natürlichen Hintergrundstrahlung, die auf den im Boden befindlichen Mineralien beruhen. Timothy Mousseau, der an der Studie mitgearbeitet hat, betont, dass einzelne Studien die Effekte oft nicht belegen konnten. Vor allem, weil die beobachteten Zahlen von betroffenen Menschen zu klein gewesen seien.  Weil die negativen Auswirkungen nicht offen ersichtlich sind, bedeute das noch lange nicht, dass es keine negativen Effekte auch geringer radioaktiver Strahlung gebe. Eine große Menge verschiedener Untersuchungen zusammenzufassen und gemeinsam auszuwerten, belege dann aber, dass man "signifikante negative Effekte sieht".

Diese Effekte lassen sich beim Menschen in den Bereichen geschwächte Immunabwehr, Vorgänge in Zellen, Geweben und Organen, Mutation in der Vererbung sowie in der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen, vor allem Krebs, erkennen. Die Studie räumt auch mit der weit und gerne verbreiteten Meinung auf, dass Schwellenwerte existieren, unterhalb derer keine negativen Folgen auftreten. Dazu sagt Rousseau: "Derartige Schwellenwerte gibt es nicht, die Effekte von Radioaktivität lassen sich messen und zwar bis zu Werten, die so weit untern liegen, wie man nur gehen kann."

Der Wissenschaftler kritisiert, dass in Folge der Unglücke in Tschernobyl und Fukushima das Bestreben groß sei, die Folgen herunter zu spielen. Das Beschwichtigen der grausamen Folgen werde mit dem Argument vorgetragen, dass die erhöhte Belastung ja nur maximal ein- oder zweimal stattgefunden habe und generell kaum über der natürlichen Hintergrundstrahlung liege. Diese Einschätzung beruhe aber auf der falschen Annahme, dass diese Strahlung ungefährlich ist. Dem sei aber nicht so.

So beurteilt das im übrigen auch das Umweltinstitut. Die natürliche Hintergrundstrahlung stehe in Zusammenhang mit der allgemeinen Krebsrate. Das Institut verweist auf Zahlen, aus denen hervorgehe, "dass etwa 10 % der spontan auftretenden Krebsfälle durch die Hintergrundstrahlung bedingt sind. Aber auch die Säuglingssterblichkeit ist in Gebieten Bayerns mit erhöhter Hintergrundstrahlung signifikant gegenüber der im restlichen Bayern erhöht."

Mousseau fordert, die Regulierungen und Schwellenwerte für akzeptierte radioaktive Belastungen neu zu überdenken. Das betreffe nicht nur die Strahlungen von Kernkraftwerken, sondern genauso die radioaktive Strahlung medizinischer Behandlungen, z.B. Röntgen, wie der Durchleuchtung auf dem Flughafen.

Berliner Ärzteblatt 16.11.2012/ Quelle: Biological Reviews, DOI: 10.1111/j.1469-185X.2012.00249.x
 
 
 
 
 
 
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