Wirtschaftliche Not beeinträchtigt die Gesundheit

Überschuldete Menschen sind
häufiger krank. Laut einer Studie aus Deutschland wird der
mangelnde Gesundheitszustand noch dadurch erschwert, dass die meisten
notwendige Medikamente oft nicht kaufen, sich ungesunder ernähren
und sich weniger sportlich betätigen. Eine britische
Untersuchung, die den Zusammenhang von Gesundheit und Bankkrisen
unter die Lupe genommen hat, kommt zu ähnlichen Zusammenhängen
von wirtschaftlicher Not und Erkrankungen.


Überschuldete Menschen sind
häufiger krank, nehmen aber gleichzeitig das Gesundheitssystem
weniger in Anspruch. Wie eine Studie des Instituts für Arbeits-,
Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität
Mainz zeigt, leiden von zehn überschuldeten Personen acht
zumindest an einer Krankheit, wobei den Betroffenen vor allem
psychische Erkrankungen und Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen
zu schaffen machen. "Die Studie zeigt am Beispiel von
Rheinland-Pfalz erstmals quantitativ den Gesundheitszustand von
überschuldeten Privatpersonen in Deutschland auf", erklärt
Univ.-Prof. Dr. Stephan Letzel, Direktor des Instituts für
Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin und Leiter der Studie "Armut,
Schulden und Gesundheit" (ASG-Studie). "Zusammengefasst
müssen wir feststellen: Der Gesundheitszustand dieser
Personengruppe ist absolut mangelhaft."



Ein immer größer werdender
Anteil der deutschen Bevölkerung ist von Verschuldung und
Zahlungsunfähigkeit betroffen. Beantragten 2005 in Deutschland
68 898 Personen die Eröffnung eines
Verbraucherinsolvenzverfahrens, so waren es im folgenden Jahr bereits
92 310; ein Anstieg um 33 Prozent. Untersuchungen zufolge
waren im Jahr 2006 2,9 Millionen Privathaushalte überschuldet,
das heißt etwa 7,3 Prozent aller Privathaushalte sind in
Deutschland von einer extremen Ausgabenarmut betroffen.



Obwohl ein flächendeckendes
Beratungsangebot für überschuldete Privatpersonen
existiert, wird nur ca. 12 Prozent der Überschuldeten
geholfen. "Menschen in existenziellen Krisensituationen und mit
begrenzten Selbsthilferessourcen können daher neben der
ökonomisch-juristischen nicht immer in vollem Umfang auch die
notwendige psychosoziale Beratungsleistung erhalten", so Dipl.
Päd. Werner Sanio, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des
Schuldnerfachberatungszentrums in Rheinland-Pfalz und
Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung
e. V.



Dass zwischen Armut und Gesundheit ein
Zusammenhang besteht, ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Dies
trifft nicht nur für Länder der Dritten Welt, sondern auch
für westliche Industrienationen wie die Bundesrepublik
Deutschland zu. "Nur, wie es sich in der speziellen Risikogruppe
der überschuldeten Bürger darstellt, darüber war
bislang nichts bekannt", betont Prof. Dr. Eva Münster,
Juniorprofessorin für Sozialmedizin und Public Health an der Uni
Mainz und Leiterin der ASG-Studie.



Die Erhebung erfolgte zwischen Juli
2006 und März 2007 in Kooperation mit 53
Schuldnerberatungsstellen in Rheinland-Pfalz durch eine schriftliche
Befragung. Insgesamt nahmen 666 Personen im Alter zwischen 18 und
79 Jahren daran teil. Rund 80 Prozent der Probanden gaben
an, derzeit an mindestens einer Erkrankung zu leiden, im Durchschnitt
wurden zwei Erkrankungen pro Person genannt. Psychische Erkrankungen,
wie Angstzustände, Depressionen oder Psychosen, sowie Gelenk-
und Wirbelsäulenerkrankungen sind mit jeweils rund 40 Prozent
die häufigsten Beeinträchtigungen - unter denen Frauen
übrigens jeweils deutlich häufiger leiden als Männer.



Auch von Schilddrüsenproblemen
scheinen Frauen eher betroffen zu sein, während Männern
häufiger Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen zu schaffen
machen: Jeder fünfte überschuldete Mann antwortete auf die
betreffende Frage mit "habe ich derzeit". "Im
Vergleich zur nicht überschuldeten Bevölkerung stellen wir
bei Überschuldung ein zwei- bis dreifach größeres
Risiko fest, an bestimmten Krankheiten erkrankt zu sein. Das ist
eklatant", sagte Münster. "Eine zusätzliche
Belastung ist, dass sich bei etwa der Hälfte der Überschuldeten
Freunde oder Familie aufgrund der finanziellen Notlage zurückziehen.
Das macht dann alles noch schlimmer."



Zu dem defizitären
Gesundheitszustand der überschuldeten Privatpersonen kommt als
weiteres Problem die geringere Inanspruchnahme medizinischer
Leistungen hinzu. 65 Prozent der Befragten haben, nach eigenen
Angaben, aus Geldmangel die vom Arzt verschriebenen Medikamente nicht
gekauft. 60 Prozent haben Arztbesuche unterlassen, weil sie die
nötigen finanziellen Mittel für die Zuzahlungen nicht
aufbringen konnten. Und auch in anderer Hinsicht kann die untersuchte
Personengruppe den Forderungen nach einem gesunden Lebensstil nicht
nachkommen: Ungefähr jeder zweite gibt an, sich infolge der
Überschuldungsproblematik weniger gesund zu ernähren, und
ist zudem weniger sportlich aktiv.



"Die ASG-Studie legt den
eindeutigen Schluss nahe, dass es sich bei der
Überschuldungsproblematik nicht ausschließlich um ein
ökonomisches oder juristisches Problem der Betroffenen handelt,
sondern dass gerade gesundheitliche und soziale Probleme dominieren
und eine Einschränkung insbesondere bei der gesundheitlichen
Versorgung vorliegt", so das Fazit der Autoren. Sie raten
dringend dazu, fächerübergreifende Präventionsprogramme
einzurichten, in die die Sozialdienste der Schuldnerberatungsstellen,
der Arbeitslosenberatungsstellen und des medizinischen Bereichs
einbezogen werden.



Ähnliche Auswirkungen
wirtschaftlicher Not auf die Gesundheit belegt eine Studie der
University of Cambridge. Das Team um David Stuckler untersuchte, wie
Bankkrisen die Gesundheit in den letzten 40 Jahren beeinflusst
haben. Damit ist diese Studie eine der ersten, die den Zusammenhang
zwischen diesen beiden Ereignissen untersucht. Traf eine Bankkrise
ein westliches Land, stieg die Anzahl der Herzanfälle um
6,4 Prozent. Laut der in Globalization and Health
veröffentlichten Untersuchung waren diese Zahlen in den
Entwicklungsländern noch höher.



Die Wissenschaftler untersuchten eine
Reihe von Ereignissen zwischen 1960 und 2002. Dazu gehörten auch
der amerikanische Savings and Loan-Skandal aus dem Jahr 1985 und die
schwedische Finanzkrise Anfang der neunziger Jahre. Anschließend
wurden die Sterbezahlen der WHO für diesen Zeitraum einbezogen.
Die Herztode stiegen regelmäßig für einen kurzen
Zeitraum bei jedem dieser Ereignisse an. Legt man diese Erkenntnisse
auf Großbritannien um, so bedeuten weitere Krisen wie Northern
Rock, dass es zu fünftausend weiteren tödlichen
Herzanfällen kommen könnte. Ältere Menschen, die von
vorne herein einem höheren Herzrisiko ausgesetzt sind, würden
sich auch am ehesten durch die Bedrohung ihrer Ersparnisse gefährdet
fühlen.



Laut Stuckler legten diese
Studienergebnisse nahe, dass bei einer Bankkrise mehr als nur
finanzielle Faktoren berücksichtigt werden müssen. "Es
geht nicht nur um das Geld." Das Verhindern von Hysterie und
Panik seien nicht nur für das Verhindern einer Bankkrise
wichtig. Damit könnten potenziell auch Tausende Todesfälle
verhindert werden. Es ist seit langem bekannt, dass Stress die
Aktivität im Herzen erhöht. Der Blutfluss wird maximiert
damit der Körper rasch reagieren kann. Welche genaue Rolle
Stress bei der Entstehung einer Erkrankung spielt, ist derzeit noch
nicht geklärt.



WANC 29.02.08





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/29_02_gesundheitschulden.php
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