Mobilfunk: Streit um die wahren Gefahren

Eine österreichische Kommission stellt
dem Mobilfunk quasi einen Freibrief aus. Ein weiterer Versuch, das
Handy-Telefonieren als vollkommen unbenklich zu markieren. Doch viele
Studien kommen mit Unterstützung der Mobilfunkbetreiber zustande. Das
kritisiert auch die österreichische Ärztekammer. Sie hält die
Verharmlosung für gefährlich.
„Werden Grenzwerte für Strahlungen eingehalten, ist nach heutigem Stand
der Wissenschaft mit keiner gesundheitlichen Gefährdung durch den
Mobilfunk zu rechnen." Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche
Beirat Funk (WBF), ein Beratergremium des österreichischen
Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT). 22
Experten aus verschiedenen Disziplinen analysierten dazu 85 europäische
Studien zum Thema Mobilfunk und Gesundheit, die im Vorjahr durchgeführt
wurden. „Der wissenschaftliche Wert der herangezogenen Studien sowie
das interdisziplinäre Gesamtbild waren Hauptkriterien für diese
Aussage", betont der Strahlenphysiker und WBF-Vorsitzende Norbert Vana.
Ganz entgegen diesen Ergebnissen haben immer mehr Menschen Angst vor
gesundheitlichen Schäden durch Strahlung, die Mobiltelefone oder
Sendeanlagen produzieren. Die SAR-Strahlenwerte eines Telefons sind in
Deutschland mittlerweile wichtigster Parameter für die Wahl des Geräts,
obwohl laut WBF die Einhaltung der Strahlenwerte bei allen Modellen
gegeben sei. In den Augen des Wiener Arbeitsmediziners Christian Wolf
sei dies ein primär psychologisches Phänomen. „Laborversuche haben
gezeigt, dass besorgte Personen auch dann sensibel reagierten, wenn sie
nur scheinbar mit einer Strahlung befeldet wurden." Der Anteil dieser
Menschen habe je nach Studie zwischen wenigen Prozent und der Hälfte
der Untersuchten variiert. Auch Schlafstörungen in Sendemastnähe hätten
ihren Ursprung in den Köpfen. „Vielfach stellt sich die
Beeinträchtigung des Schlafs schon vor der Inbetriebnahme des Senders
ein", so Wolf. Wolfs Kollege Alfred Barth betont, dass auch Beeinträchtigungen der
Konzentration oder anderer kognitiver Fähigkeiten durch
elektromagnetische Felder auszuschließen seien. Während laut WBF auch
auf Augen, Ohren und Haut bislang keine negativen Effekte durch
Funkstrahlung feststellbar sind, hält Vana eine stärkere Belastung bei
Trägern von Piercings für möglich. „Je größer die Metallteile sind,
desto stärker können sie elektromagnetische Felder auf sich ziehen. Sie
wirken dann wie eine Empfangsantenne." Eine Gesundheitsgefährdung
bestehe jedoch auch für Piercing-Träger bei derzeitigen Sendeanlagen
nicht. Das Forschungsinteresse im Zusammenhang mit Mobilfunk habe sich im
letzten Jahr verändert, so eines der Ergebnisse der Expertenrunde.
„Untersuchungen zu zellbiologischen Fragestellungen nehmen zu und
betreffen bereits jede fünfte Studie, selbes gilt auch für
Überprüfungen zu technischen Fragen der Exposition und Messverfahren",
berichtet Wolf. Knapp jede dritte Untersuchung konzentriere sich auf
Aspekte der Befindlichkeit wie Kopfschmerz, Schlaf und Konzentration,
während der Zusammenhang mit Tumorbildung mit sieben Prozent aller
Studien deutlich seltener geprüft wird als in Vorjahren. „Untersuchungen zu Tumor- und Krebsentstehung haben das Problem, dass
sie das Telefonverhalten nur rückwirkend über Befragungen erheben
können. Im Nachhinein unterschätzen Menschen jedoch die Anzahl ihrer
Telefongespräche, während sie deren Dauer überschätzen", erklärt Vana.
Im Zeitraum von unter fünf Jahren sei kein Zusammenhang zwischen
Funkstrahlung und Tumorbildung feststellbar, für längere Zeiträume sei
bisher keine wissenschaftlich fundierte Aussage möglich, so der
WBF-Vorsitzende. Dass Plakate in den Arztpraxen vor dem Gebrauch von Mobiltelefonen
besonders durch Kleinkinder warnen, wird von den WBF-Vertretern
kritisch gesehen. „Diese Aussage hat keine wissenschaftliche Grundlage.
Die Ärztekammer wurde mehrmals zur Teilnahme am Beirat eingeladen, doch
sie entzieht sich bisher dem Dialog", so Vana. Andere Auswirkungen des
Gebrauchs von Mobiltelefonen würden mit der behaupteten Schädigung
durch Strahlenbelastung über einen Kamm geschoren, wozu unter anderem
die Schädigung der Daumenmuskeln durch das SMS-Schreiben oder der Kauf
eines Geräts als Ersatz elterlicher Zuwendung gehörten. „Es stimmt
jedoch, dass kleine Menschen Strahlen anders aufnehmen als große. Bei
Kindern wurden aber bisher zu wenig Studien durchgeführt, um fundierte
Aussagen machen zu können", so der Strahlenexperte. Die Österreichische Ärztekammer übt heftige Kritik am WBF. Die mittel-
und langfristigen Folgen des Mobilfunks seien mit der derzeitigen
Datenlage noch nicht abschätzbar, warnt die Ärztekammer. „Es existiert
noch keine Studie, die die Gefährlichkeit des Mobilfunks eindeutig
beweisen kann. Doch für eine verharmlosende Prognose ist es ebenfalls
eindeutig zu früh", so Jörg Hoffmann, Arzt und Referent für
Öffentlichkeitsarbeit bei der Ärztekammer. Die derzeitige Mobilfunk-Diskussion hält Hoffmann für vergleichbar mit
derjenigen um die Zigarettenindustrie in den 60er-Jahren. „Auch damals
warnten namhafte Wissenschaftler vor der Kriminalisierung der
Zigarette. Bis deren Schädlichkeit bewiesen werden konnte, vergingen
Jahrzehnte. Heute würde jedoch niemand mehr ernsthaft wagen, das
Rauchen vom Standpunkt der Gesundheit aus zu verteidigen", so Hoffmann.
Die vom WBF präsentierten Daten, die keine neuen wissenschaftlichen
Erkenntnisse liefern würden, seien zu hinterfragen. „Mehrere führende
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats Funk sind auch in der
wissenschaftlichen Beratung des Forum Mobilfunk tätig, der in
Österreich den Zusammenschluss der Mobilfunkanbieter darstellt. Das
könnte einige der Aussagen relativieren", so der Ärztekammer-Sprecher. Hoffmann hält es für „bedauerlich, dass die Warnungen von Medizinern
und von der Ärztekammer nach wie vor zu wenig ernst genommen wird". Und
er hebt hervor: „Mobiltelefone sollen nicht verteufelt werden, doch ein
vorsichtiger Umgang ist angebracht." Das betreffe besonders kleine
Kinder, da deren dünne Schädeldecke wenig Schutz vor Einwirkungen gebe.
WANC 24.04.09/Quelle: pte





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/24_04_mobilfunk_gesundheitsgefahren.php
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