Gift in der Kabinenluft

Darüber wird am liebsten geschwiegen:
Die Luft in den Kabinen von Flugzeugen kann die Gesundheit gefährden.
Der Grund: In Verkehrsflugzeugen kommt die Frischluft für Cockpit und
Kabine aus den Kompressoren der Triebwerke. Diese Luft kann mit
giftigen Substanzen aus Triebwerksölen und deren Verbrennungsstoffen
verunreinigt sein. Sie wirken im Körper wie reine Nervengifte. Doch
Airlines wie auch die Flugzeughersteller spielen das Risiko des
sogenannten Aerotoxischen Syndroms herunter. Und Behörden sowie
Forschungsinstitute untersuchen die Gefahr für Personal und Passagiere
nicht genauer – aus welchen Gründen auch immer. Statt Lösungen zu
suchen, die natürlich Geld kosten, werden lieber Wege gesucht, eine
öffentliche Diskussion zu verhindern.
Die deutschen Fluggesellschaften fürchten eine neue Sicherheitsdebatte,
die zu einem "massiven Reputationsverlust" und Passagierrückgängen
führen könnte. Hintergrund sind Berichte über Giftstoffe in der
Kabinenluft, die als Ursache von Erkrankungen von Piloten und Flugbegleitern diskutiert werden. In einem dem
Radioprogramm NDR Info vorliegenden vertraulichen Papier des
Bundesverbandes deutscher Fluggesellschaften (BDF) äußern sich die
Mitgliedsunternehmen, zu denen alle großen deutschen Airlines gehören, besorgt über ein "potenzielles Aufflammen der öffentlichen Diskussion" über dieses Thema. Der BDF warnt darüber hinaus vor einer "neuen Dimension", "wenn durch
die Medien sich das Thema vom bisherigen Betroffenenkreis
Besatzungsmitglieder zum Betroffenenkreis Passagiere verlagern würde".
Zudem äußert der Branchenverband Befürchtungen, dass sich die
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) und die zuständige
Berufsgenossenschaft Verkehr einschalten könnten: "Hier könnte eine
zusätzliche Dynamik entstehen, wenn beide Institutionen weitere
Untersuchungen vornehmen." In dem Dokument wird eine "gemeinsame
Sprachregelung" aller deutschen Fluggesellschaften angemahnt. Nach Angaben von Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit
(VC), gibt es weltweit schon mehr als 500 Fälle, in denen
Besatzungsmitglieder Erkrankungen auf das Einatmen von Giftstoffen in
der Kabinenluft zurückführen. Betroffen seien auch Passagiere, so
Handwerg: "Nicht nur Vielflieger, denn es gibt auch Menschen, die schon
nach einmaligem Einatmen dieser Giftstoffe gesundheitliche
Beeinträchtigungen haben." Konstruktionsbedingt wird die Kabinenluft bei Verkehrsflugzeugen am
Triebwerk gezapft. Unter bestimmten Umständen können Öldämpfe und damit
Schadstoffe wie das Nervengift TCP in die Kabine gelangen. Die
Fluggesellschaften verweisen in dem Papier jedoch darauf, dass "zur
spezifischen Frage der Gesundheitsgefährdung bei Menschen durch Spuren
von TCP in Flugzeugkabinen bisher weltweit keine wissenschaftlich
fundierten Ergebnisse" vorlägen. Zudem sei es teuer, solchen
Zwischenfällen vorzubeugen: “Ein wirksamer Rückhalt von Schadstoffen
(...) ist technisch sehr aufwendig und erfordert völlig neue
Konstruktionen", heißt es in dem unter Verschluss gehaltenen Dokument. Schon im vergangenen Jahr (Januar 2009) hat das ARD-Wirtschaftsmagazin
„plusminus“ berichtet, dass die Luft an Bord von Linienmaschinen längst
nicht so sauber ist, wie immer angenommen wird. Bei 28 Stichproben in
Verkehrsflugzeugen namhafter Fluggesellschaften wurden Spuren einer als
Nervengift eingestuften Chemikalie in den Flugzeugkabinen gefunden: zum
Teil sehr hohe Anteile von Trikresylphosphat, kurz TCP. Das ist eine
ausschließlich dem Triebwerksöl beigefügte Chemikalie, aus der Gruppe
der organischen Phosphate, die als Nervengift bekannt ist. Laut plusminus wurden seit 1983 weltweit zahlreiche Fälle bekannt, bei
denen vermutet werden muss, dass Besatzungsmitglieder und Passagiere in
Folge solcher Kabinenluft-Kontamination erkrankt sind. Seit 1999 werden
die gesundheitlichen Schädigungen auch als „Aerotoxisches Syndrom“
bezeichnet. Infolge von Störfällen mit Ölrückständen in der Atemluft
sei auch die Flugsicherheit gefährdet. Berufspiloten und Flugbegleiter sind angehalten, solche Vorfälle
unverzüglich anzuzeigen. Doch trotz der gesetzlichen Verpflichtung,
solche „Kontaminations-Ereignisse der Kabinenluft“ der Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchung zu melden, gehen dort laut plusminus noch längst
nicht alle Meldungen ein.Während Probleme mit kontaminierter
Kabinenluft im englischsprachigen Raum bereits seit über zehn Jahren
bekannt sind, ist das Phänomen hierzulande eher unbeachtet geblieben. Schon damals waren in Deutschland erste Klagen von Flugpersonal vor den
Arbeitsgerichten anhängig. Die Betroffenen bemängelten, sie seien in
Folge der Belastung von verunreinigter Kabinenluft flugdienstuntauglich
geworden und es gäbe bislang keine ausreichenden Gefährdungsanalysen
seitens der Arbeitgeber. Auch existieren bisher keinerlei Sensoren an
Bord, die in einem solchen Fall Besatzung und Passagiere warnen. Trikresylphosphat gehört zu der Gruppe der organischen Phosphate wie
beispielsweise auch das Nervengift Sarin. Über die Auswirkungen auf den
menschlichen Organismus gibt es bislang nur wissenschaftlich gesicherte
Erkenntnisse in Bezug auf die Einnahme, beispielsweise über die
Nahrung, nicht jedoch über die Inhalation in einer Druckkabine, wie im
Flugzeug. VC-Sprecher Handwerg kritisiert die Haltung der Fluggesellschaften
scharf: “Der Eindruck ist, dass hier eine sehr große Angst vorhanden
ist, dass sich das negativ aufs Geschäft auswirken kann. Dabei ist es
ein Problem, das Tausende von Flugzeugen weltweit betrifft. Trotzdem
möchte man kein Geld ausgeben. Wir fordern eine unabhängige und
umfassende Untersuchung der Kausalkette Kontamination der Luft bis hin
zum Krankheitsbild." Eine Sprecherin des BDF lehnte es ab, zu den
Inhalten des vertraulichen Dokuments Stellung zu nehmen. Das Papier,
das Mitte Juni verfasst worden war, sei noch "im Projektstadium" und
nur ein "allererster Entwurf". Die Aerotoxis Association beschreibt das aerotoxische Syndrom so: Um
eine komfortable Umgebung und einen ausreichenden Luftdruck in der
Kabine zum Atmen zu haben, ist in der Flughöhe, in der
Passagierflugzeuge normalerweise fliegen, warme Druckluft
erforderlich.  Diese Luft wird durch das Triebwerk bereitgestellt
und ist so in Kontakt mit beweglichen Teilen, die mit Öl in Verbindung
kommen. Es gibt verschiedene Dichtungen am Triebwerk, die dafür da sind
um das Schmieröl und die Luft zu trennen. Durch ihre Beschaffenheit
können diese Dichtungen nicht 100% effektiv sein und es wird ein
bestimmter Teil des Öls in die Luft gelassen. Sie werden viel
beansprucht, werden also abgenutzt und können wie jeder andere
mechanische Bestandteil ausfallen. Wenn eine große Menge von Öl sich
mit der sehr heißen komprimierten Luft vermischt, gelangen Dämpfe oder
Rauch in die Kabine. Das ist bekannt als ein „Fume Event“. Es gibt
keine Filter in der Kabinenluftzufuhr, die es verhindern könnten. Warum ist der Rauch so giftig? Ein komplexes synthetisches Öl ist
erforderlich, das dazu bestimmt ist der äußeren Umgebung der Triebwerke
standzuhalten. Es enthält viele giftige Inhaltsstoffe,
einschließlich  Trikresylphosphat, das als ein Mittel gegen
Abnutzung eingesetzt wird.  Es ist ein Organophosphat und ist für
seine neurotoxischen Eigenschaften bekannt. Organophosphate werden
unter anderen für die Herstellung von Nervengas benutzt. Was sind die Symptome? Die Symptome können akut auftreten, zum Beispiel
für eine kurze Zeit nach dem Flug, oder chronisch: Ermüdung - sich
sogar nach einer Schlafphase erschöpft fühlen; verschwommenes Sehen
oder Tunnelblick; Schüttel- und Zitterzustände;
Gleichgewichtsstörungen; Krampfanfälle; Bewusstlosigkeit;
Beeinträchtigung des Gedächtnisses; Kopfschmerzen; Tinnitus;
Benommenheit; Schwindel; Verwirrung, kognitive Beschwerden;
Vergiftungsgefühle; Übelkeit, Brechreiz; Durchfall; Irritationen der
Augen; Erbrechen; Husten; Atemschwierigkeiten (Kurzatmigkeit); Druck
auf der Brust; Ausfall der Atemwege; Erhöhung der Herzfrequenz und
Herzklopfen; Reizung von Augen, Nase und der oberen Atemwege. WANC 12.08.10, Quelle: NDR Info, Scinexx





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/12_08_aerotoxisches_syndrom.php
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