Euro-Zeichen
Es geht mal wieder ums Geld in unserem Gesundheitswesen
> Gesundheitsfonds: Ein korrumpiertes System

Ärztevertreter warnen vor
manipulierten Diagnosen ihrer eigenen Zunft. Kassen warnen vor der
Korruption durch Kassen. Und Mediziner wollen ihre Patienten nur noch
eingeschränkt oder gegen Bares behandeln. Sind das
Anlaufschwierigkeiten des Anfang des Jahres in Kraft getretenen
Gesundheitsfonds oder Fehler im System?
Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der
Vertretung aller Kassenärzte warnte in ‚Bild.de’: „Kassenvertreter
versuchen, Ärzte zu ködern, um Diagnosen zu korrigieren. Das kann Ärzte
zu Fehldiagnosen verleiten.“ Dass ein Arztvertreter öffentlich auf den Betrug durch die Klientel
aufmerksam macht, die er eigentlich vertritt, ist schon sehr merkwürdig.
Doch merkwürdig ist dieser Tage vieles, was mit unserem
Gesundheitssystem zusammen hängt. Vielleicht kein Wunder: Denn seit
Anfang des Jahres hat sich einiges geändert. Vor allem: Es gibt den
Gesundheitsfonds. Der bestimmt unter anderem, dass Krankenkassen nicht mehr ihre Beiträge
von ihren Versicherten bekommen, sondern von einer Regierungsstelle.
Der bestimmt auch, dass über die Höhe des Versicherungsbeitrages nicht
mehr Kasse und Versicherter verhandeln können, sondern ein allgemein
gleicher Betrag – dessen Höhe die Regierung festlegt – für alle gilt.
Die Einnahmen müssen die Kassen an den Gesundheitsfonds abliefern,
erhalten dafür für jeden Versicherten einen Standardbetrag und für
besonders Kranke, deren Krankheit sich in einer Liste von 80
wiederfindet, einen Zuschlag.
Wen überrascht es, dass die Kassen nun versuchen, möglichst viele Diagnosen
von den Ärzten zu bekommen, die ihnen den lukrativen Aufschlag sichern.
Seit Monaten warnen Experten, dies könnte zu Manipulationen führen, die
Versicherte auf dem Papier kränker erscheinen lassen. Köhler sagt, dass
Krankenkassen durchschnittlich zehn Euro Euro für Diagnosen zahlen, die ihnen
mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds garantieren. Vor einigen Wochen hatte bereits Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe den
gleichen Vorwurf erhoben. Die Krankenkassen schickten Berater in die
Praxen, um Ärzte zur Korrektur von Diagnosen zu drängen, hatte Hoppe
damals gesagt. “Da wird sogar mit Geld gewunken. Wir haben Angst, dass
Ärzte korrumpierbar werden.” Eine doch erstaunliche Angst, wenn man bedenkt, dass Ärzte und ihre
Standesvertreter immer wieder betonen, dass sie ihrem Eid verpflichtet
seien und Patienten nur nach den Regeln behandelten. Geld, so die
Einlassung der Mediziner, spiele dabei keine Rolle. Doch dem scheint ja
nun nicht so zu sein. Dass auf Prämie komm raus Diagnosen aufgehübscht werden, scheint die
Krankenkassen selbst aber auch nicht zu verwundern. Und mehr oder
weniger entschuldbar zu sein. So warnte der Chef der Techniker
Krankenkasse, Norbert Klusen, vor Korruption bei den Krankenkassen
durch die Einführung des Gesundheitsfonds in der ‚Financial Times
Deutschland’ mit den Worten:  „Die Logik des Gesundheitsfonds hat
neue Manipulationsanreize gesetzt.“ Bitte? Was? Doch dann legt Klusen noch einen drauf: “Wenn sich diese Praktik durchsetzt, müssen wir das auch machen.” Richtig verstanden: Es soll zum Standard werden, das Ärzte gegen eine
Prämie ihre Diagnosen nachträglich ändern? Ganz geheuer scheint dem
TK-Chef dabei selbst aber nicht zu sein. Deshalb mahnt er: “Hier muss
die Regierung eingreifen und Anreize für Codierungs-Deals verbieten.”
Was nichts anderes bedeutet als: Schafft den Gesundheitsfonds wieder ab. Doch das ist nicht die einzige seltsame Blüte der neuen Regelungen. So hat sich
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt einer Honorarreform für Ärzte
gerühmt, die auf Eurobeträge und nicht mehr auf Punkte lautet und die
den Ärzten knapp drei Mrd. mehr Geld bringt: das Gesamtvolumen für
Ärztehonorare beträgt nun 30 Mrd. Euro pro Jahr. Viel Freude macht das aber weder Ministerin noch den Ärzten. Denn die
fühlen sich verschaukelt. Jeder glaubt, durch die neue Verteilung
benachteiligt zu werden. Besonders die Fachärzte protestieren, dass
ihre Honorare kaum noch die Kosten decken würden, sie bei  vielen
Behandlungen also drauf zahlten. So hatten erst kürzlich Bayerns Gynäkologen gedroht,
Patienten nur noch gegen Bares zu behandeln. Die Patientinnen sollten
dann sehen, wie sie das Geld von ihrer Krankenkasse wieder zurück
bekämen. Doch auch die Hausärzte, die eigentlich die Gewinner der neuen
Honrarreglungen sein sollten, sind aufgebracht. Auch sie fordern
bessere Honorare. Und drohen. Aus einem internen Schreiben des
Hausärzteverbandes Nordrhein an seine Mitglieder geht hervor, dass
Patienten schlechter versorgt werden sollen. In dem Schreiben, das der
‘Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ)’  vorliegt, sollen die
Mediziner unter anderem erklären, "Hausbesuche nur noch bei
Dringlichkeit" zu leisten und die Präsenz in der Praxis einzuschränken.
Bestimmte Leistungen wie Vermittlung an Fachärzte oder
Terminsprechstunden sollen nur noch Versicherte erhalten, deren Kasse
einen Hausarztvertrag abgeschlossen haben. “Den anderen Patienten helfe
ich beim Kassenwechsel", erklären die Mediziner. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) reagierte empört. Mit
Notwehr, wie die Ärzte ihre Aktion bezeichnen, habe das nichts zu tun.
"Wir fordern den Hausärzteverband Nordrhein auf, davon Abstand zu
nehmen", sagte er der WAZ. Der Streit dürfe "nicht auf dem Rücken der
Patienten ausgetragen werden". Das ist der Merkwürdigkeiten nicht genug. Hatten Kassen mit Ärzten in
der Vergangenheit Hausarzt- oder bestimmte Versorgungsverträge
geschlossen, um die integrierte Versorgung – also eine bessere
Zusammenarbeit aller an der Behandlung des Patienten beteiligten Ärzte
- zu fördern, versuchen die Versicherungen nun möglichst schnell aus
diesen Vereinbarungen auszusteigen. Die Modelle gelten als teuer, da
sie Ärzten bestimmte Gebühren garantieren. KBV-Chef Köhler kritisiert derartige Verträge, obwohl seine
Organisation diese auch selbst mit den Kassen abschließt: „Es kann
nicht sein, dass ein Arzt in Köln dafür bezahlen muss, dass die
Krankenkassen mit dem Kollegen in Düsseldorf Sonderverträge
abschließen, die nur einem bestimmten Patientenkreis zugute kommen.
Dieses Geld fehlt für die Behandlung der überwiegenden Zahl von
Patienten, die nicht an solchen Sonderversorgungsmodellen teilnehmen.
Die Mehrheit müsste also Nachteile zugunsten einer Minderheit in Kauf
nehmen. Einen solchen Raubbau zulasten der flächendeckenden
Patientenbehandlung werden wir mit allen Mitteln bekämpfen.“ Und er
fügte hinzu: „Wir sind strikt dagegen, dass alle Patienten und ihre
Ärzte für die Finanzierung von Sonderverträgen einzelner Krankenkassen
bezahlen sollen…..” Marktverzerrung gar geiselt Klusen. Er forderte mehr Gerechtigkeit im
Wettbewerb mit der AOK, die wegen ihrer Marktmacht attraktivere
Versorgungsverträge schließen könne: “Ich fordere daher, dass das
Kartellrecht auch für Krankenkassen voll anwendbar ist. Die
marktbeherrschende Stellung der AOK im Einkauf von Arzneimitteln und
medizinischen Leistungen muss eingedämmt werden.” Und wo bleibt bei alledem der Patient? Auf der Verliererseite. Er muß
mehr für seine Krankenversicherung zahlen, ohne dafür eine bessere
Leistung zu bekommen. Und im Hickhack der Einzelinteressen, gibt es
niemand, der für die Rechte der Krankenversicherten eintritt.
Ärzte-Standesvertreter Köhler forderte: „Es müssen jetzt endlich wieder
Vernunft und Expertenwissen bei der Umsetzung dieser Gesundheitsreform
zum Einsatz kommen.” Hoffentlich, kann man sich da nur wünschen. Denn
die offenkundigen Probleme des Gesundheitssysstems sind grundlegende
Fehler, die beseitigt werden müssten. Aber ob die Beteiligten den
Willen und der Sinn dafür haben, daran gibt es doch große Zweifel. WANC 26.01.09
 
 
 
 
 
 
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