Privatversicherte: Doppelt so hohe Vergütung für Ärzte

Privatpatienten sind den behandelnden
Ärzten/innen lieb und teuer. Das liegt auch daran, dass sie für
deren Behandlung mehr Geld bekommen. Gesundheitsökonomen haben
diesen Vergütungsunterschied jetzt genau berechnet. Sie meinen,
dass gesetzliche und private Krankenversicherungen aneinander
angeglichen werden müssen. Die Beibehaltung der Abgrenzungen sei
überholt.


Ärztinnen und Ärzte
erhalten für ihre Leistungen an Privatversicherten im Schnitt
mehr als doppelt so viel wie bei Mitgliedern einer gesetzlichen
Krankenkasse. Zu diesem Ergebnis kommen die Gesundheitsökonomen
Prof. Dr. Jürgen Wasem, Prof. Dr. Stefan Greß und Anke
Walendzik in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten
Studie. Umgerechnet auf die Gesamtheit aller Versicherten summiert
sich die Vergütungsdifferenz auf 3,6 Milliarden Euro im
Jahr. Ein massiver Anreiz, Privatpatienten zu bevorzugen, urteilen
die Wissenschaftler. Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, dass eine
Angleichung der Vergütungsstruktur eine wesentliche
Voraussetzung zur Gleichbehandlung gesetzlich und privat versicherter
Patienten ist.



Die Gesundheitsökonomen
von der Universität Duisburg-Essen und der Hochschule Fulda
ermittelten erstmals genau, wie groß die Vergütungs-Differenz
zwischen Privatpatienten und gesetzlich Versicherten bei der
ambulanten Behandlung ausfällt. Der Grund für die Differenz
liegt in den unterschiedlichen Abrechnungsregelungen für
gesetzliche (GKV) und private (PKV) Krankenversicherungen: Bei den
Privatpatienten dürfen niedergelassene Mediziner die Sätze
der von der Bundesregierung erlassenen Gebührenordnung für
Ärzte deutlich überschreiten. Außerdem sehen die
gesetzlichen Regelungen hier keine Mengenbegrenzungen vor: Die
Gesamtmenge der abrechenbaren Leistungen ist nicht budgetiert. Bei
Kassenversicherten haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV)
und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) dagegen Obergrenzen ausgehandelt. Außerdem müssen
sich Kassen und KVen an gesetzlich definierte Budgets halten.



Die Unterschiede zwischen GKV
und PKV sind eklatant: Für eine medizinisch im Grundsatz gleiche
Leistung erhält ein niedergelassener Arzt von der
Privatversicherung durchschnittlich das 2,28-fache der Vergütung,
die ihm die gesetzliche Kasse zahlt. Bei Radiologen, Internisten,
Kinder- und Hausärzten fällt der Aufschlag sogar noch etwas
höher aus, bei Augen- oder Hautärzten etwas geringer.
Umgerechnet auf alle Versicherten erhalten die niedergelassenen
Mediziner insgesamt für die Behandlung privat versicherter
Patienten 3,6 Milliarden Euro mehr, als wenn sie diese Patienten
auf der Basis des Vergütungssystems in der gesetzlichen
Krankenversicherung behandelt hätten.



Angesichts der
Vergütungsdifferenz findet es der Fuldaer Hochschullehrer Greß
"nicht überraschend", wenn Studien zu dem Ergebnis
kommen, dass privat versicherte Patienten in der ambulanten
Versorgung kürzere Wartezeiten haben als GKV-Versicherte.
Schließlich setze das Vergütungssystem "massive
Anreize für die bevorzugte Behandlung von Privatpatienten".
Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, dass eine Angleichung der
Vergütungsstruktur eine wesentliche Voraussetzung zur
Gleichbehandlung ist. Das gilt etwa für die Niederlande, deren
Gesundheitsreformen ein Team um Wasem und Greß intensiv
untersucht. Dort wurden die Vergütungen in den beiden Systemen
schon Ende der 80er Jahre angeglichen. Außerdem lösten
die Niederländer die überkommene Aufteilung des
Krankenversicherungsmarktes auf, die - ähnlich wie in
Deutschland - systematisch dazu geführt hatte, dass die PKV im
Schnitt jüngere und besser verdienende Mitglieder hatte als die
gesetzlichen Kassen.



Auch in Deutschland ist nach
Analyse der Forscher eine Anpassung der Vergütungssysteme
möglich. Ohne weiteres umzusetzen wäre sie aber nicht. Denn
die Gesamtsumme, die niedergelassene Mediziner mit der Behandlung von
GKV- und PKV-Patienten einnehmen, sollte nach Ansicht von Wasem und
Greß bei einer Umstellung stabil bleiben, um "größere
betriebswirtschaftliche Erschütterungen" für die
Mediziner zu vermeiden. Deshalb würde eine Angleichung die GKV
und ihre Versicherten finanziell belasten - mit etwa 3,2 Milliarden
Euro. Das entspricht in etwa 0,34 Beitragssatzpunkten. Die
Ausgabenträger der privat krankenversicherten Patienten würden
dagegen in gleicher Höhe entlastet. Etwa zwei Drittel des
Spareffekts würden auf die privaten Krankenversicherungen
entfallen, etwa ein Drittel auf die Bundesländer, die die
Beihilfe für die privat versicherten Beamten finanzieren.



Die
Wissenschaftler halten eine Angleichung der Vergütung gleichwohl
für sinnvoll: "Die Ungleichbehandlung von privat und
gesetzlich versicherten Patienten ist ein Anachronismus", sagt
Forscher Greß. Um so wichtiger sei es, einen funktionierenden
Ausgleichsmechanismus zwischen gesetzlicher und privater
Krankenversicherung zu etablieren. So könnte die Belastung der
GKV-Versicherten beispielsweise gegenfinanziert werden, indem man die
Privatversicherungen in den Risikostrukturausgleich der gesetzlichen
Kassen einbeziehe.



WANC 16.05.08





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/16_05_gkvbezahlung.php
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