Krankenkassen: Kranker Wettbewerb

Der Gesundheitsfonds lässt im
Gesundheitssystem fragwürdige Blüten treiben. Jetzt suchen die Kassen
nach Kranken, die sie vielleicht so krank machen können, dass sie mehr
Geld aus dem gemeinsamen Topf der Versicherungsbeiträge bekommen.
Der ab Januar 2009 startende Gesundheitsfonds ändert vieles. Nicht nur,
dass es zukünftig einen Einheitsbeitrag für die Versicherten geben
wird. Unabhängig von der Krankenkasse wird in Zukunft der gleiche
Beitrag erhoben, das sind derzeit 15,5%. Die gesetzlichen Krankenkassen bekommen für jeden Versicherten dann
einen Einheitsbetrag. Und der wird erhöht, wenn der Versicherte eine
bestimmte bzw. chronische Erkrankungen hat. Das bedeutet, dass es für
die gesetzlichen Krankenkassen attraktiv wird, chronisch kranke
Versicherte in ihren Reihen zu haben. Während die Kassen bisher auf
wirklich Kranke lieber verzichteten und die Gesunden hofierte, dreht
sich nun der Wind. „Manche Kassen machen regelrecht Jagd auf chronisch kranke Patienten“,
sagte Leonhard Hansen, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein,
der ‚Rheinischen Post’. So schicke die zuständige AOK Niedersachsen
derzeit Mitarbeiter in diverse Praxen, um mit den Medizinern die Akten
von Patienten durchzusehen, wie ein zuständiger AOK-Sprecher der
Zeitung erklärte. Die Ärzte sollen genau prüfen, ob sie die
Erkrankungen ihrer Patienten für die Abrechnung richtig codiert haben. Wenn ein Patient mit hohem Zuckerwert dabei zum ‚Diabetiker ohne
Komplikationen’ umcodiert werde, erhalte die Krankenkasse dem Bericht
zufolge pro Patient im Monat 66 Euro zusätzlich aus dem
Gesundheitsfonds der Bundesregierung, bei ‚Diabetikern mit akuten
Komplikationen’ sind es sogar 168 Euro aus dem Fond. So sieht es die
für die Krankenkassen geltende Liste der ‚Morbiditätszuschäge für 80
ausgewählte Krankheiten’ vor. Auch die Mediziner erhielten pro
kontrollierter Akte von der AOK des Bundeslandes Niedersachsen zehn
Euro. Der zuständige AOK-Sprecher verteidigte das Vorgehen. Es gehe nur
darum, Medizinern Hilfe für die sachlich richtige Codierung zu geben.
Schließlich wäre es unrechtmäßig und unethisch, Patienten auf dem
Papier kränker zu machen, als sie in Wirklichkeit seien. Die Aussage verdeckt, was die Kassen tatsächlich treibt. Denn das
Bestreben, den Bestand der Versicherten zu optimieren, sehen Experten
bei vielen Kassen. Derzeit laufen überall die Computer heiß, um die
bevorzugten Krankheiten heraus zu filtern und zu prüfen, ob Ärzte die
richtigen Diagnosen dazu stellen. Die Liste der 80 Krankheiten ist nämlich willkürlich entstanden. Warum,
so die Frage, sin des 80 Krankheiten – es könnten genauso mehr oder
weniger sein, eine wirkliche Begründung für die Zahl existiert nicht.
Als Kuhhandel wurde deshalb das Ergebnis bezeichnet. Schon bislang versuchten die Kassen, möglichst viele Patienten in die
Programme für chronisch Kranke (sogenannte Chronikerprogramme) zu
locken, weil es dafür mehr Geld gab. Das Plus für Patienten lässt sich
kaum ermitteln. Im Gegenteil: Unabhängige Studien (wie von der
Bertelsmann Stiftung) besagen sogar, dass die Betroffenen nicht besser
sondern sogar schlechter versorgt werden. Und dass nun manche Kasse wie die AOK Niedersachsen sogar mit Prämien
bei Ärzten darum wirbt, ihre Patienten auf dem Papier krank zu machen,
ist mehr als makaber. Die Frage stellt sich, ob wir nicht bald so viele
chronisch Kranke haben, dass das System des Gesundheitsfonds erodiert.
Da ist der Weg zur nächsten Gesundheitsreform nicht mehr weit. WANC 08.12.08, Quelle: Rheinische Post





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/08_12_kassenwettbewerb.php
powered by webEdition CMS