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Unser Gesundheitssystem benötigt finanzielle Infusionen - deshalb erheben viele Krankenkassen jetzt Zusatzbeiträge (Foto: DAK/Scholz)
> Krankenkassen: Am Tropf der Zusatzbeiträge

Dass unser Gesundheitssystem immer
teurer wird, hören wir ständig. Dass zu wenig Geld im System ist, hören
wir auch ständig. Jetzt bekommen wir die Rechnung für das Lamentieren
präsentiert. Weil die Krankenkassen ein Minus von angeblich über 3 Mrd.
Euro vor sich herschieben und der umstrittene Gesundheitsfonds nicht
mehr zu verteilen hat, werden die Beiträge erhöht. Es ist also wieder
der Versicherte, der zahlen muss. Erstaunlich: Wenn es um die Erhöhung
der Beiträge geht, geht alles ziemlich schnell. Doch bei dem Ausloten
von Einsparmöglichkeiten und Effizienzsteigerungen da tun sich alle
ganz schwer.
Es war absehbar. Schon bei Einführung des Gesundheitsfonds Anfang 2009
drohten die gesetzlichen Krankenkassen, dass die Beträge aus dem Fonds
nicht reichen würden. Schon damals hatten sie gefordert, den
Beitragssatz nicht auf 15,5 Prozent festzulegen – wie es dann das
Bundesgesundheitsministerium durchsetzte - , sondern 15,8 Prozent
anzusetzen. Schon damals wurde vor einem Milliarden-Minus gewarnt. Die
verantwortlichen Politiker wiesen das damals als reine Spekulation
zurück. Zum 1. Juli vergangenen Jahres wurde der ursprüngliche Satz im
Rahmen des Konjunkturpaktes II dann um 0,6 Prozentpunkte auf 14,9
Prozent gesenkt. Jetzt haben wir den Salat. Ende 2009 setzte der GKV-Schätzerkreis die
Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenversicherung für 2010 auf
voraussichtlich 7,8 Mrd. Euro fest. Durch den vom Bundeskabinett
beschlossenen einmaligen Steuerzuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro
wird diese Lücke halbiert. Ob das dann das zu stopfende
Finanzierungsloch ist, bleibt umstritten und ungewiß. Manche Institute
rechnen damit, dass die Einnahmen des Gesundheitsfonds um 2,5 Mrd. Euro
besser ausfallen werden. Dann beliefe sich die Lücke auf 1,4 Mrd. Euro. Wie hoch der Fehlbetrag aber tatsächlich ist, weiß im Augenblick
niemand. Oder will es zumindest nicht laut sagen. „Die Kassen
verheimlichen ihren Versicherten eine Milliarden-Einsparung. Mit dem
Geld könnten Millionen Versicherte entlastet werden, die jetzt von
Zusatzbeiträgen bedroht sind“, beklagte der Vorsitzende des Deutschen
Apothekerverbandes (DAV), Fritz Becker, gegenüber der „Bild“-Zeitung.
Nach Schätzungen des DAV sparen die Krankenkassen über Rabattverträge
jährlich deutlich mehr als eine Milliarde Euro ein. Dieses Geld komme
aber nicht den Versicherten zu Gute, ärgert sich Becker. Die Kassen
würden die Beträge behalten, um Verwaltungsausgaben zu finanzieren. Viele Kassen ficht das alles nicht an. Sie reagieren jetzt schnell.
Eine Blitzumfrage des Verbraucherportals 1A Krankenversicherung hat
ergeben, dass 16 gesetzliche Krankenkassen im Laufe des Jahres 2010
einen Zusatzbeitrag erheben werden. Acht gesetzliche Krankenkassen
haben dies bereits konkret angekündigt, darunter die DAK, die
KKH-Allianz sowie einige Betriebskrankenkassen. Neun weitere
Krankenkassen planen die Einführung im Laufe des Jahres 2010. Damit
wären rund 11 Millionen Versicherte von der Kostensteigerung betroffen. 131 Krankenkassen gaben an, für 2010 keinen Zusatzbeitrag zu planen.
Doch für das kommende Jahr sei dies nicht ausgeschlossen, darunter
befinden sich auch die größten deutschen Krankenkassen, wie die Barmer
GEK, die Techniker Krankenkasse und Regionalverbände der AOK. Es sei
aber zu erwarten, dass spätestens im Laufe des Jahres 2011 ein Großteil
der Krankenkassen nachziehen werde. Lediglich 13 der 169 gesetzlichen
Krankenkassen schließen Zusatzbeiträge derzeit generell aus. Die
vollständige Liste aller gesetzlichen Krankenkassen und deren
Zusatzbeiträge ist unter
http://www.1a-krankenversicherung.org/zusatzbeitraege/ zu finden. Viele Krankenkassen lassen noch offen, wie hoch die zusätzlichen
Belastungen für ihre Mitglieder ausfallen werden. Derzeit betragen die
angekündigten Zusatzbeiträge meist bis zu acht Euro im Monat. Das ist
der Höchstbetrag, den die Kassen ohne Einkommensprüfung ihrer
Versicherten erheben kann. Allerdings wird erwartet, dass künftig
höhere Zusatzbeiträge gefordert werden. Spitzenreiter sind derzeit die
KK Heilberufe und die GBK Köln, die von ihren Mitgliedern bis zu 37,50
Euro mehr pro Monat fordern - und das gleich rückwirkend zum 1. Januar.
Die BKK Westfalen-Lippe beschränkt sich auf zwölf Euro. Diese Kassen
machen von der Regelung Gebrauch, dass sie bis zu 1 Prozent vom Gehalt
als Zusatzbeitrag verlangen können. „Der Zusatzbeitrag ist die logische Konsequenz aus der Konstruktion des
einheitlichen Beitragssatzes und des Gesundheitsfonds“, sagt Dr. Doris
Pfeiffer, Vorsitzende des Vorstands des GKV-Spitzenverbandes, fast ein
wenig hämisch. Gesundsheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat die Versicherten zum
Wechsel ermuntert. Die Menschen sollten prüfen, ob das
Preis-Leistungsverhältnis ihrer Kasse stimme, sagte Rösler. Falls sie
das Gefühl hätten, dass das nicht stimme, sollten sie wechseln. Das tun
inzwischen wohl viele. Bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse
(DAK) sollen bereits 5300 Mitglieder ausgetreten sein, bei der
Betriebskrankenkasse Deutsche BKK rund 1000 Versicherte. Rösler kämpft für den Umbau des Gesundheitssystem und die Einführung
der Kopfpauschale. Aber ob das an den Problemen ertwas ändert? Schon
seit Jahrzehnten streiten sich Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaunternehmen
und Krankenkassen darüber, wo im Gesundheitswesen gespart werden kann.
Passiert ist fast gar nichts. Denn immer suchen einen bei den anderen
nach Sparpotentialen, behaupten aber von sich, dass dort nichts mehr zu
holen sei. So ist die Diskussion über das Heben von Effizienzreserven
lange Zeit fast völlig zum erliegen gekommen. Während alle Vertreter
der Beteiligten im Gesundheitswesen ihre Lobby an den Ohren der
Politiker haben, wird das Credo vom Wohl des Patienten von allen wie
ein Banner voraus getragen. Aber das war es dann auch schon. WANC 05.02.10, Quelle: 1A Krankenversicherung, GKV-Spitzenverband, Wirtschaftswoche
 
 
 
 
 
 
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