Krankenkassen: Mit Wahltarifen auf Kundenfang

Mit der
am 1. April in Kraft getretenen Gesundheitsreform dürfen auch
gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten Wahltarife anbieten. Die
Branche übt sich in Einfallsreichtum, die Kunden sind verwirrt.
Gefahren lauern, weil die Tarife fast nur Luft nach oben eröffnen
und man sich meist über einen längeren Zeitraum binden
muss.


Jetzt
also auch die AOK Thüringen. Stolz teilt sie mit, dass sie „im
Zuge der Gesundheitsreform Wahltarife“ einführt. Mitglieder
könnten bis zu 600 Euro im Jahr an Beiträgen
zurückerhalten, so das Versprechen. Dabei sei das Risiko für
die Versicherten mit einem Selbstbehalt von maximal 120 Euro
überschaubar. Zudem seien die Tarife familienfreundlich, da nur
der Selbstbehalt des Versicherten, nicht aber von mitversicherten
Familienangehörigen berücksichtigt werde.



Doch
damit nicht genug, weitere Wahltarife werden fröhlich
angekündigt. „Wir sind erst am Anfang“, sagt
AOK-Verwaltungsratschef
Viktor Bernecker.
Voraussichtlich Mitte des Jahres würden Tarife vorgestellt, die
unter anderem weitere familienfreundliche Komponenten enthalten
sollen. Die jetzt vorgestellten Selbstbehalttarife könnten seit
Monatsbeginn abgeschlossen werden.



Andere
Kassen sind natürlich nicht faul. Nach einer Übersicht der
Leipziger Volkszeitung hat die Barmer vorerst 18 Wahltarife im
Angebot, darunter Bonusprogramme, Kostenerstattungs- und
Selbstbehalttarife. Im Kostenerstattungstarif soll ist im ersten Jahr
eine Rückzahlung von 80 Euro möglich sein, Tarife mit
Selbstbehalt verlangen Prämienzahlungen von bis zu 500 Euro.



Die
Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) plant zunächst bis zu
20 unterschiedliche Individual-Tarife. Darunter sind mehrere
Selbstbehalttarife mit unterschiedlichen Prämienzahlungen, die
nach Einkommensklassen gestaffelt sind. Dabei haben DAK-Versicherte
die Wahl zwischen Sach- und Geldprämien. Zu den Sachleistungen
zählt zum Beispiel Klinik-Unterbringung im Ein- oder
Zweibettzimmer. Zusätzlich werden ein
Beitragsrückerstattungstarif für freiwillig Versicherte,
Kostenerstattungstarife und ein Tarif für die Kostenübernahme
bei homöopathischen Arzneimitteln angeboten.



Die
Techniker Krankenkasse (TK) geht unter anderem mit
Selbstbehalttarifen ins Rennen. Dabei steigen ausgezahlte Prämie
und Höhe des Selbstbehalts mit dem Einkommen des Mitglieds an.
Bei 18.000 Euro Jahreseinkommen etwa liegt der Selbstbehalt bei 300
und die Prämie bei 240 Euro. Bei 42.000 Euro Einkommen sind es
960 Euro Selbstbehalt und 600 Euro Prämie. Zudem gibt es einen
Rückerstattungstarif.



Bei der
Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) sind es sieben neue Tarife,
unter anderem vier Selbstbehalttarife und einen Rückzahlungstarif.
Beim Rückzahlungstarif winken Versicherten Erstattungen von
einem Zwölftel ihres Jahresbeitrags.



Die
Knappschaft offeriert sechs Wahltarife, darunter zwei neue mit
Selbstbehalt.



Die Gmünder
Ersatzkasse verspricht drei Wahltarife. Mit dem Vorsorgetarif sollen
Singles bis zu 250 und Familien bis zu 600 Euro im Jahr sparen.
Voraussetzung für die Erstattung ist die Teilnahme an
Gesundheitsförderungs- und Präventionsprogrammen.



Hört
sich alles prima an. Aber: In einem Nebensatz erfährt der
Interessierte, dass jeder Versicherte, der sich auf den Wahltarif
einlässt, drei Jahre an den Tarif gebunden bleibt. Hoppla, mag
sich da mancher denken. Wer weiß, was in drei Jahren ist? Den
Kassen ist das schnuppe, verpflichtet ist verpflichtet,
unterschrieben ist unterschrieben, basta.



Und da liegt denn auch die Crux. Wer sich mit
der Absicht zu sparen, auf einen der Wahltarife einlässt, bleibt
für die Dauer des Vertrages daran gebunden. Selbst wenn die
Krankenkasse während der Laufzeit die Beiträge erhöhen
sollte. Wechseln ist dann nicht möglich. Das ist aber genauso
unmöglich, wenn ein ehedem Gesunder hohe Selbstbehalte
vereinbart hat, dann aber plötzlich sehr krank wird. Auf den
Kosten bleibt er sitzen. Denn Vertrag ist ja, wie gesagt, Vertrag.



Experten warnen davor, jetzt wegen verlockender
Wahltarif-Angebote schnell die Kasse zu wechseln oder sich übereilt
in einen derartigen neuen Vertrag zu stürzen. Im "Tagesspiegel"
gab Ulrike
Steckkönig von der Stiftung Warentest den guten Rat, vor einem
geplanten Wechsel die Angebote genau zu studieren: „Bis alle Kassen
ihre Wahltarife ausgearbeitet haben, vergeht noch einige Zeit. Die
interessantesten Angebote kommen noch.“



Experten meinen auch, dass sich die neuen
Wahltarife sowieso nur für die Versicherten lohnen, die über
einen Zeitraum von drei Jahren weitgehend gesund bleiben. Außerdem
sind sie für Gutverdiener attraktiv, weil sie bei prozentualen
Rückzahlungen mehr wiederbekommen als Personen mit geringeren
Einkommen. Die Wahltarife – insbesondere mit Bindung – sind, so
die Überzeugung, also nur für eine eingeschränkte
Zielgruppe interessant.



Das sehen die meisten Versicherten anscheinend
auch so. In einer aktuellen repräsentativen
Bevölkerungsbefragung (1008 Befragte) der M+M Management +
Marketing Consulting GmbH (Kassel) und der USUMA GmbH (Berlin) zeigt
sich, dass das Interesse der Versicherten nur begrenzt ausfällt.
Knapp ein Drittel der befragten Bundesbürger (30,3 Prozent)
findet die neuen gesetzlichen Wahlmöglichkeiten interessant bzw.
sehr interessant, dagegen 35,5 Prozent uninteressant bzw. völlig
uninteressant. 34,2 Prozent der Befragten zeigen sich noch
unschlüssig in ihrer Bewertung.



WANC 04.04.07





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/04_04_wahltarife_gkv.php
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