Wartezimmer
Gesetzlich Versicherte: Müssen im Durchschnitt 24,8 Tage länger auf Termin beim Facharzt warten als Privatversicherte (Foto: DAK)
> Gesetzlich Krankenversicherte: Dreimal so lange warten

Die Republik stöhnt auf. Eine
Studie belegt, was alle längst wissen. Privatversicherte
bekommen schneller einen Termin als „nur“ gesetzlich Versicherte.
Doch die scheinheilige Aufregung vor allem der Politik vernebelt,
dass es gerade die desaströse Gesundheitspolitik ist, die
Warteschlangen mitverursacht.


Für die aktuelle Untersuchung
hatten Mitarbeiter des Instituts für Gesundheitsökonomie an
der Uni Köln 189 Praxen im Raum Köln/Bonn/Leverkusen
angerufen und um einen Untersuchungstermin gebeten. Gefragt wurde mal
nach einem Allergietest, mal nach einen Lungenfunktionstest oder
einer Magenspiegelung oder einem Hörtest. Wer sich als
Kassenpatient outete, hatte schlechte Karten. Er musste länger
auf die Behandlung warten: im Durchschnitt 24,8 Tage länger
als der privat Versicherte. Besonders gravierend seien die
Unterschiede in der Terminvergabe bei Magenspiegelungen gewesen,
sagte der Leiter des Instituts, Markus Lüngen. Kassenpatienten
mussten im Schnitt 36,7 Tage auf eine Spiegelung warten.
Privatpatienten kämen schon nach 11,9 Tagen an die Reihe.



Der Vorstandsvorsitzende der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler,
sagte dazu: „Die Kolleginnen und Kollegen vergeben Termine unter
medizinischem Gesichtspunkt, unabhängig davon, ob der Patient
privat oder gesetzlich krankenversichert ist. Sie sind nicht dazu
verpflichtet, jeden Patienten immer sofort oder so schnell wie
möglich dranzunehmen. Es gibt keine Unterschiede in der
Behandlung. Die Qualitätssicherung der Leistung ist in der
gesetzlichen Krankenversicherung sogar fortgeschrittener als in der
privaten Krankenversicherung. Es bestehen allenfalls
Serviceunterschiede. Die Zusatzeinnahmen aus der privaten
Krankenversicherung kommen im Übrigen allen Versicherten zugute.
Letztlich sind diese Einnahmen es, die den Arzt in die Lage
versetzen, Investitionen in seiner Praxis zu tätigen.“



Köhler verschleiert die Wahrheit,
die Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer, viel ehrlicher darstellt: „Privatversicherte
und Kassenpatienten werden qualitativ gleich behandelt. Zu den
Wartezeiten für gesetzlich Versicherte kommt es, weil oftmals
die vorgegebenen Budgets vor Ende des Quartals ausgeschöpft
sind. Viele Ärzte behandeln schon jetzt ihre Patienten in den
letzten Tagen und Wochen des Quartals kostenlos oder versuchen, nicht
akut notwendige Behandlungen auf das nächste Quartal zu
verlegen.“



Und auch die Analyse für diese
Situation trifft Hoppe unverblümt: „Diese Unterversorgung ist
staatlich verursachte Zweiklassenmedizin, mit vermeintlich
privilegierter Medizin für Privatpatienten hat das nichts tun.
Denn auch Leistungen in der Amtlichen Gebührenordnung für
Ärzte, der privatärztlichen Gebührentaxe in der
Verantwortung der Bundesregierung, sind zum großen Teil völlig
unterbewertet und entsprechen schon längst nicht mehr dem
aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Es ist perfide, Ärzte
für die Folgen staatlich vorgegebener Unterfinanzierung im
Gesundheitswesen verantwortlich zu machen. Es liegt an der Politik,
für die Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten
ausreichend Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.“



Tatsache ist, dass das Warten auf einen
Arzttermin keine überraschende Neuigkeit ist. Fast auf den Tag
vor einem Jahr erhitzten sich die Gemüter ebenso über
dieses Thema. Damals hatte eine Studie des Wissenschaftlichen
Instituts der AOK (WIdO) ganz ähnliche Ergebnisse gezeigt.
Damals regte sich Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in einem
Sterninterview vom 02.04.2007 über die Wartezeiten auf: „Ich
halte das für unethisch. Ärzte, die Kassenpatienten
behandeln, haben einen Vertrag mit der gesetzlichen
Krankenversicherung. Der macht ihr Haupt-Einkommen aus. Wer das nicht
will, kann jederzeit seine Zulassung zurückgeben und sagen: Ich
behandle nur noch Privatpatienten. Doch das tun sie aus gutem Grund
nicht. Es kann doch nicht sein, dass ein Arzt sagt: Weil du von der
Kasse kommst, wartest du vier Wochen, weil du privat kommst, bist du
sofort dran. Vertragsgrundlage ist, dass die kontinuierliche
Behandlung der Kassenpatienten garantiert ist. Wo das nicht der Fall
ist, sollte sich der Versicherte sofort an seine Kasse wenden.
Serviceorientierte Kassen, wie zum Beispiel die AOK
Rheinland-Hamburg, die Barmer und die Deutsche BKK besorgen in diesen
Fällen ihren Kunden rasch einen Termin.“



Und auch auf die neue Studie ist die
Reaktion wieder geheuchelte Empörung. So sagte die
Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium,
Marion Caspers-Merk (SPD), der „Passauer Neuen Presse“:
„90 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich versichert,
und sie finanzieren den Löwenanteil des Systems.“ Und sie
forderte die Kassen auf, Konsequenzen aus den Verzögerungen zu
ziehen. Sie müssten sich zum Nutzen ihrer Versicherten
engagieren.



Casper-Merk wies darauf hin, dass
einige Krankenkassen in so genannten Hausarztverträgen Klauseln
vereinbart hätten, die die Wartezeiten beim Arzt für die in
die Verträge eingeschriebenen Versicherten auf maximal
30 Minuten verkürzen solle. Doch eines verschweigt die
Dame: Die Behandlungshonorare für die von Hausarztverträgen
umsorgten Patienten liegen höher als die „normalen“
Behandlungshonorare.



Das Problem hinter den Wartezeiten ist
aber ein umfassendes: Bisher vermeidet die Politik es, den
Versicherten reinen Wein einzuschenken. Unser Gesundheitssystem kann
nicht mehr leisten, was von ihm gefordert wird. Dazu reichen die
Mittel in der derzeitigen Form nicht aus. Doch die Einsparzwänge
auf die Ärzte und Krankenhäuser zu übertragen, zeigt
die Feigheit, die Wahrheit zu offenbaren. Was fehlt ist eine ehrliche
Analyse aller Geldströme im System. Dann sollte genau bestimmt
werden, welche Versorgung wir uns noch leisten können. Dabei
wird es über kurz oder lang auf eine Basisversorgung – die
sicher nicht üppig sein wird – hinauslaufen und
Zusatzversicherungen, die weitere Risiken abdecken. Unter Strich wird
es für die Versicherten teurer – aber das sollte man nicht
verheimlichen, sondern ehrlich zugeben.



WANC 03.04.08

 
 
 
 
 
 
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