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Pflege zur Erhalt der Selbstständigkeit in den eigenen vier Wänden (Foto: TK)
> Pflegedürftigkeit: Verändert ein neuer Begriff Strukturen?

Wer ist pflegebedürftig? Von der
Beantwortung dieser Frage hängt sehr viel ab: In der Hauptsache
mögliche einschneidende Veränderungen in der Lebenssituation eines
Menschen. Aber auch die finanziellen Auswirkungen. Jetzt hat ein Beirat
beim Bundesgesundheitsministerium einen Bericht vorgelegt, der nicht
nur den Begriff der Pflegebedürftigkeit neu beschreibt, sondern auch
den Begutachtungsvorgang des Zustandes erneuern will. Das soll die
bestehenden Versorgungstrukturen verändern.
Seit Einführung der Pflegeversicherung sehen viele den dort
beschriebenen Begriff der Pflegebedürftigkeit als zu eng und zu
verrichtungsbezogen an. Besonders der Bedarf an allgemeiner Betreuung,
Beaufsichtigung und Anleitung, der etwa bei demenzkranken Menschen
häufig auftritt, werde bisher zu wenig berücksichtigt, lautete die
Kritik. Der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs war
im November 2006 beauftragt worden, konkrete und wissenschaftlich
fundierte Vorschläge für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und
ein darauf aufbauendes neues Begutachtungsverfahren zu erarbeiten. Der
Auftrag schloss auch die Frage ein, wie sich Änderungen finanziell auf
die Pflegeversicherung und andere Sozialleistungsbereiche auswirken. Der Beirat hält einen Pflegebedürftigkeitsbegriff für erforderlich, der
alle körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen
umfasst. Er soll sich differenziert an den Lebenslagen orientieren und
auf den Grad der Selbständigkeit abstellen. Das bedeutet, dass das
Ausmaß notwendiger Leistungen am Grad der Beeinträchtigung der
Selbständigkeit gemessen werden sollen. Damit wird das Ausmaß und der Erhalt der Selbständigkeit zum
überragenden Prinzip der Pflegebedürftigkeit. Dieses ermöglicht nach
Ansicht des Beirates eine ganzheitlichere, auch kontextbezogene
Wahrnehmung der Lebenslage der pflegebedürftigen Menschen und so eine
höhere Gerechtigkeit in der Berücksichtigung der Beeinträchtigungen von
Menschen. Die Berücksichtigung des Wunsches nach Selbständigkeit bringe
nicht nur die Achtung der Würde des Menschen zum Ausdruck. Sie fördere
auch die Selbstverantwortung sowie das verlässliche, solidarische
Eintreten für Menschen in Risikolagen. Der Beirat formuliert: „Pflegebedürftigkeit ist dabei z. B. Teil eines
selbstbestimmten, vom Wunsch nach Teilhabe am sozialen und kulturellen
Leben geprägten Alterns. Das Ziel, dabei solange wie möglich in der
eigenen Wohnung zu bleiben, steht im Vordergrund. Erkennbar werden
daher ambulante Lebens- und Leistungsformen bevorzugt. Ebenso deutlich
ist aber, dass für viele Menschen aufgrund veränderter Lebensoptionen
und privaten Unterstützungssituationen, insbesondere aufgrund
veränderter familiärer Strukturen sowie verminderter Leistungsfähigkeit
von Familien, qualitätsgesicherte stationäre Angebote notwendig
bleiben.“ Dazu hat der Beirat auch eine neue Bewertungssystematik von
Pflegebedürftigkeit entwickelt. Verändert und anders gewichtet werden
beispielsweise die einzelnen Module zur Begutachtung der
Pflegebedürftigkeit. Neugestaltet werden auch die Bedarfsgrade, die die
Leistungen für die Betroffenen in fünf Stufen gliedert. Der Beirat betont, dass die vorgeschlagenen Veränderungen neue
Strukturen in der Pflege verlangen. Denn die Definition des Begriffs
nicht über die Defizite, sondern über die Potentiale eines Menschen,
erfordere Strategien, die Selbständigkeit zu erhalten, die
Aufmerksamkeit auf vorhandene Ressourcen zu lenken und damit das
Entstehen oder die Verschlimmerung von Pflegebedürftigkeit so lange wie
möglich zu vermeiden. So betont auch der Beiratsvorsitzende Dr. Jürgen Gohde, dass der Beirat
mit seinem Umsetzungsbericht die öffentliche Diskussion um den
Stellenwert guter Pflege anregen wolle. Außerdem solle die Akzeptanz
mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, gestärkt werden: “Für
den Beirat besteht ein Zusammenhang zwischen dem neuen
Begutachtungsverfahren und der zukünftigen Sicherung der pflegerischen
Infrastruktur, wenn es gelingt, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder
hinauszuzögern sowie Menschen beizustehen, damit sie in Würde gepflegt
und alt werden können."” WANC 26.05.09/Quelle: Umsetzungsbericht des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs
 
 
 
 
 
 
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