Arzt mit Patientin
Die richtige Behandlung finden: Evidenzbasierte Erkenntnisse sollten bei Auswahl der Therapie berücksichtigt werden
> Patienten werden regelmäßig falsch behandelt

Patienten bekommen
häufig nicht die richtige oder eine nicht erforderliche
Behandlung. Grund dafür ist, dass ärztliche Entscheidungen
nicht auf der Basis neuester medizinischer Forschungsergebnisse
getroffen werden.


Internationale Studien
zeigen, dass 30 bis 40 Prozent der Patienten nicht die Versorgung
erhalten, die der wissenschaftlichen Evidenz entspricht. Und rund ein
Viertel der Patienten erhalten eine Therapie, die nicht erforderlich
oder potenziell sogar schädlich ist. "Hier sind die Ärzte
aufgerufen, neben ihrer wertvollen Berufserfahrung in zunehmendem
Maße auch die Ergebnisse der systematischen Evidenz-Forschung
zur Richtschnur ihres Handelns zu machen“, fordert Edmund
Neugebauer, Professor an der Universität Witten/Herdecke und
neuer Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin
(DNEbM).



Unter evidenzbasierter, also
beweisgestützter Medizin versteht man die Form der Heilkunde,
die ihre Entscheidungen bezüglich der optimalen
Patientenbehandlung auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt.
Was oft für selbstverständlich gehalten wird, nämlich
die ärztliche Entscheidung aufgrund neuster medizinischer
Forschungsergebnisse, passiert tatsächlich weit seltener als
erhofft. Besonders wichtig wären in diesem Zusammenhang
Kenntnisse aus klinischen Studien, die oft viel zu spät in die
Behandlung von Patienten einfließen. "Evidenzbasierte
Medizin bedeutet für uns aber auch, dass die letztendliche
Therapieentscheidung zwischen dem Arzt und dem Patienten
partnerschaftlich getroffen wird", betont Neugebauer. "Ein
Patient ist kein Befehlsempfänger. Wir wollen, dass er zum
gleichberechtigten Partner des Arztes wird." Deshalb seien die
Wertevorstellungen und Präferenzen des Patienten bei der
Behandlung unbedingt zu berücksichtigen.



"Wir hören dem
Patienten häufig gar nicht richtig zu", räumt
Neugebauer selbstkritisch ein und appelliert an ein Umdenken in der
Ärzteschaft. Mindestens ebenso wichtig seien jedoch
verständliche und transparente Informationen für die
Patienten. Zur evidenzbasierten Medizin gehört, Vor- und
Nachteile medizinischer Verfahren unvoreingenommen zu recherchieren
und die Öffentlichkeit objektiv über diese Ergebnisse zu
informieren. Die Betroffenen sollen so in die Lage versetzt werden,
die Chancen und Risiken von Behandlungen besser einzuschätzen,
um eine individuelle Abwägung treffen zu können.



Das Evidenz-Netzwerk
publiziert neben ihrem Informationsangebot für Ärzte auch
öffentliche Stellungnahmen zu aktuellen Gesundheitsthemen - etwa
zur Krebsfrüherkennung, bei der laut Studien der vermeintliche
Nutzen für die Patienten oft gering ist und der mögliche
Schaden nicht unterschätzt werden sollte. Beispielsweise erspart
die Teilnahme am Früherkennungsprogramm für Brustkrebs
innerhalb von 10 Jahren etwa einer von 1000 Teilnehmerinnen den Tod
an Brustkrebs. Mit einem Verdachtsbefund müssen innerhalb von 10
Jahren jedoch 200 Frauen rechnen. Dieser Verdachtsbefund erfordert
eine weitergehende Abklärung bis hin zu operativen Eingriffen,
die ihrerseits zu Belastungen und Schäden führen können.
Besonders schwerwiegend ist, dass durch Früherkennung auch
Tumore entdeckt werden, die zwar bösartig erscheinen, im
weiteren Leben aber nie auffällig geworden wären.



WANC
15.05.07

 
 
 
 
 
 
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