Es ist weiterhin umstritten, ob das Pflanzenschutzmittel  Glyphosat Krebs auslöst oder nicht (Foto: FotoHiero/ pixelio.de)
Es ist weiterhin umstritten, ob das Pflanzenschutzmittel Glyphosat Krebs auslöst oder nicht (Foto: FotoHiero/ pixelio.de)
> Glyphosat: Im Zweifel für den Angeklagten?

Die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat, eine Organisation der Hersteller, frohlockt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sei zu dem Schluss gekommen, "dass Glyphosat keine krebserregenden oder mutagenen Eigenschaften besitzt und sich auch nicht toxisch auf die Fortpflanzung sowie die Embryonalentwicklung auswirkt". Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat im Rahmen des Verfahrens der Neubewertung der gesundheitlichen Risikos des Wirkstoffes beurteilt. Nach Auswertung von mehr als 1000 Studien sei man zu dem Ergebnis gekommen, "dass beim Menschen bei einer sachgerechten Anwendung in der Landwirtschaft keine krebserzeugenden, erbgutverändernden oder entwicklungsschädigenden Risiken von Glyphosat zu erwarten sind". Doch an dieser Einschätzung bestehen gehörige Zweifel. 


Richard Garnett, Vorsitzender der europäischen Glyphosat Task Force, feiert es fast wie einen Sieg: "Das Ergebnis der EFSA ist ein entscheidender Schritt im Rahmen des Wiederzulassungsprozesses von Glyphosat durch die europäischen Zulassungsbehörden. Es bestätigt erneut die früheren Sicherheitsbewertungen von Glyphosat, die bereits von Behörden weltweit durchgeführt wurden. Diese haben einheitlich ergeben, dass die Anwendung von Glyphosat kein Risiko für den Menschen, Tiere und die Umwelt darstellt."


Die EFSA hatte kürzlich die Neubewertung von Glyphosat abgeschlossen und die Schlussfolgerungen veröffentlicht. José Tarazona, Leiter des EFSA-Referats Pestizide, erklärte dazu: „Es handelte sich hierbei um einen umfassenden Prozess – eine vollständige Bewertung, die eine Fülle neuer Studien und Daten berücksichtigte. Durch die Einführung einer Akuten Referenzdosis verschärfen wir die künftige Bewertung potenzieller Risiken durch Glyphosat. Was die Karzinogenität betrifft, so ist es unwahrscheinlich, dass dieser Stoff krebserregend ist.“


Das ist allerdings mehr als umstritten. Die Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im März 2015 in einer Risikobewertung Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" eingestuft. Für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist der aktuelle Glyphosat-Bericht der EFSA "ein Beleg für die unglaubliche Ignoranz der Behörde gegenüber den Gesundheitsrisiken des Wirkstoffes". Besonders verwerflich sei, dass die täglich akzeptierte Dosis für die Aufnahme des Wirkstoffes durch den Menschen von 0,3 Gramm auf 0,5 Gramm pro Kilo Körpergewicht angehoben werden solle.


Wie kann es zu derartig unterschiedlichen Einschätzungen kommen? Das hat sicherlich mehrere Gründe. Einer ist, dass das BfR und die EFSA den reinen Stoff Glyphosat beurteilen. Das erscheint Kritikern aber realitätsfern. Die WHO ist dagegen von handelsüblichen Produkten - also Pestizidmischungen mit Glyphosat - ausgegangen. Das sind Produkte wie "Roundup" von Monsanto, die massenhaft in der Landwirtschaft verwendet werden. 


Ein weiterer ist die Vertrauenswürdigkeit der vom BfR in die Beurteilung einbezogenen Studien. Viele Kritiker bemängeln, dass sich das Urteil des BfR auf nicht unabhängige Studien bezieht. So kritisiert BUND: "Das BfR folgt der Beurteilung durch die Industrie. Es hat für die Bewertung des Wirkstoffes fast ausschließlich Hersteller-Studien herangezogen, die wiederum vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Das BfR berücksichtigt wichtige unabhängige Studien, die die Glyphosat-Gefahren benennen, nicht oder wertet sie fehlerhaft aus…" Und: "Jede neue Veröffentlichung, die auf eine Gesundheitsgefährdung hinweist, wird als unwissenschaftlich diskreditiert. Dies ist möglich, da die Hersteller im derzeitigen Zulassungsverfahren bei unabhängigen Studien eine Vorauswahl treffen und über die Relevanz der Studien urteilen dürfen."


Ein Bericht von RTL geht sogar noch einen Schritt weiter. Die US-Forscher Stephanie Seneff und Anthony Samsel würden sich auf Daten der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA berufen. Demnach sind sich die beiden Forscher sicher, dass das über die Nahrung in den menschlichen Körper gelangende Pflanzengift Schilddrüsen-, Brust-, Leber-, Nieren, Blasen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs auslösen kann und Leukämie auftreten könne. Monsanto wisse schon seit mehreren Jahrzehnten von der Gefahr, die von Glyphosat für den Menschen ausgehe. Das Münchener Umweltinstitut habe  berichtet, dass Monsanto sogar absichtlich Studien manipuliert habe, um dieses zu vertuschen. 


Möglicherweise sind auch nicht alle zu Verfügung stehenden Studien berücksichtigt worden. MDR und Süddeutscher Zeitung melden beispielsweise, dass das BfR in einem bislang geheim gehaltenen Bericht an die europäische Kontrollbehörde EFSA einräumen musste, "dass sie Hinweise auf deutlich erhöhte Krebsraten in einer ganzen Reihe von Tierstudien übersehen hat". Dabei geht es um fünf Langzeitstudien an Mäusen, die deutliche Steigerungen verschiedener Tumorarten zeigten: Lymphdrüsenkrebs, Nierentumore sowie Krebs der Blutgefäße.


Die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 sieht damit EU-Recht verletzt: „Als nun feststand, dass Mäuse, die Glyphosat erhielten, signifikant mehr Tumore entwickelten als Mäuse, denen kein Glyphosat verabreicht wurde, wechselten die RisikobewerterInnen die Strategie: Sie zweifelten nun in jeder einzelnen der fünf Industriestudien die Plausibilität der jeweiligen ‚Negativkontrolle‘ an und ,korrigierten’ die fehlende oder geringe ,spontane’ Tumorhäufigkeit bei den unbehandelten Mäusen nachträglich nach oben. Möglich wurde dies durch die Hinzunahme von sogenannten ,historischen Kontrolldaten‘. Damit ließ sich die (spontane) Tumorhäufigkeit bei den nicht mit Glyphosat behandelten Mäusen soweit nach oben ‚korrigieren‘, bis der Unterschied zu den Glyphosat-belasteten Mäusen unter die Signifikanz-Schwelle rutschte.“


Was bleibt dem Verbraucher? Unsicherheit? Auch Unverständnis? Und vielleicht das Gefühl, dass es einmal mehr nicht um die Interessen der Verbraucher geht, sondern um die Verdienstchancen von Unternehmen? Bei dieser ungeklärten Situation fällt es irgendwie leicht, Leif Miller, Bundesgeschäftsführer von NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V., zu folgen: „Solange die Risiken von Glyphosat auf Mensch und Natur nicht einwandfrei widerlegt sind, muss unbedingt das Vorsorgeprinzip gelten…..Bis zur Klärung der offenen Fragen muss die Zulassung daher auf jeden Fall ausgesetzt werden."


23.11.2015/ Quelle: EFSA, BfR

Aktualisierung am 1.12.2015
Das Deutsche Ärzteblatt (http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64977) meldet, dass 96 Wissenschaftler aus aller Welt den europäischen Behörden in einem offenen Brief gravierende Mängel bei der Einschätzung von Glyphosat vorgeworfen haben. Das Ärzteblatt schreibt: "In dem Schreiben fordern die Wissenschaftler die EU-Kommission auf, bei ihren Entscheidungen 'die fehlerhafte Bewertung der Efsa nicht zu beachten'. Die Analyse des BfR sowie die darauf aufbauende Bewertung der Efsa enthalte schwerwiegende Mängel, schreiben die Forscher in dem Brief. Sie sei in Teilen 'wissenschaftlich inakzeptabel', ihre Sprache 'irreführend'.  Außerdem seien die Ergebnisse 'durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt' und 'nicht auf offene und transparente Weise erzielt worden'."

 
 
 
 
 
 
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