Seit 2011 verboten: BPA in Babyflaschen und Schnullern (Foto: Ruth Rudolph/pixelio.de)
Seit 2011 verboten: BPA in Babyflaschen und Schnullern (Foto: Ruth Rudolph/pixelio.de)
> Bisphenol A: Kein Gesundheitsrisiko für Verbraucher?

Bisphenol A (BPA) ist stark in Verruf gekommen. Die chemische Substanz steht nämlich im Verdacht, Hormonsystem, Stoffwechsel, Fettspeicherung, Knochenaufbau und Immunsystem zu schaden. Besonders bei Kindern kann das fatale Folgen für die gesamte Entwicklung haben. Jetzt legt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Neubewertung der Risiken vor. Und kommt zu dem Ergebnis, "dass BPA bei der derzeitigen Verbraucherexposition für keine Altersgruppe ein Gesundheitsrisiko darstellt (einschließlich ungeborener Kinder, Kleinkinder und Jugendlicher)."

Die EFSA gibt an, neue Daten, Gutachten und Veröffentlichungen zu den Gefährdungen durch BPA neu bewertet zu haben. "Nach Abwägung einer erheblichen Menge neuer wissenschaftlicher Informationen zu den toxischen Wirkungen der Substanz kam das CEF-Gremium zu dem Schluss, dass BPA in hohen Konzentrationen (die den TDI um mehr als das Hundertfache überschreiten) sich wahrscheinlich schädlich auf Leber und Nieren auswirkt. Außerdem könnte es Auswirkungen auf die Brustdrüse bei Tieren haben."

Deshalb empfehlen die Sachverständigen der EFSA den Grenzwert für BPA deutlich herabzusetzen: von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag (µg/kg KG/Tag) auf 4 µg/kg KG/Tag. Mit diesen etwas kryptischen Angaben wird die sogenannte „tolerierbare tägliche Aufnahmemenge“, kurz: TDI, beschrieben, die Auskunft über die Obergrenze gibt, bis zu der jeder Mensch mit den riskanten Stoffen am Tag belastet werden kann, ohne dass sich das negativ auf seine Gesundheit auswirkt.

In ihrer Stellungnahme beschreibt die EFSA aber auch, wie häufig wir mit BPA in Kontakt kommen. So wird der Stoff bei der Herstellung von Lebensmittelkontaktmaterialien, wie Mehrweg-Plastikgeschirr und Schutzbeschichtungen zur Auskleidung von Dosen, eingesetzt. Auch in Thermopapier, das gewöhnlich für Kassenbons und Quittungen verwendet wird, findet BPA verbreitet Anwendung. Rückstände von BPA können in Lebensmittel und Getränke übergehen und so in den Körper gelangen. BPA aus anderen Quellen, einschließlich Thermopapier, Kosmetika und Staub, kann über die Haut aufgenommen oder eingeatmet werden.

Auch bei den gesundheitlichen Auswirkungen bleiben viele Fragen offen. „Auswirkungen auf die Fortpflanzungsorgane, das Stoffwechsel-, Herz-Kreislauf-, Nerven- und Immunsystem sowie auf die Entstehung von Krebserkrankungen werden derzeit nicht als wahrscheinlich erachtet, konnten aber anhand der verfügbaren Daten nicht ausgeschlossen werden. Sie tragen damit zur allgemeinen Unsicherheit bezüglich der Gefahren im Zusammenhang mit BPA bei und wurden daher bei der Bewertung berücksichtigt.“ Diese Unsicherheiten haben dazu geführt, dass der jetzt vorgeschlagene TDI-Wert "als vorläufig anzusehen" ist.

Das Urteil der EFSA, dass für Verbraucher kein Risiko durch BPA besteht, weil niemand derartigen Belastungen ausgesetzt ist, bleibt dennoch umstritten. Zahlreiche Wissenschaftler wenden nämlich ein, dass Grenzwerte wenig helfen. Den BPA reichere sich im Körper an, sei also permanent vorhanden. Und weil niemand es schaffe, nicht in Kontakt mit der Chemikalie zu treten, werde das Risiko durch geringere Obergrenzen letztlich nicht weniger. Allerdings fehlen auch dazu stichfeste wissenschaftliche Untersuchungen.

Außerdem weisen Mediziner darauf hin, dass es noch viele andere chemische Stoffe gibt, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind. Und von denen wir die gesundheitliche Risiken kaum kennen, obwohl sie in unseren Organismus nachweisbar sind, sich dort also dauerhaft niedergelassen haben. Darunter Stoffe, die BPA ersetzen sollen: Epoxid, Oleoresine, Polyacrylate, Vinyle, Phenole, Tritan und BPS. So zitiert Spektrum der Wissenschaft (09.05.2014) Cheryl Watson von der medizinischen Fakultät der University of Texas in Galveston, dass selbst geringe Dosen dieser östrogenähnlichen Substanzen möglicherweise Schwierigkeiten verursachen: "Sie sind bereits in winzigen Mengen wirksam. Das ist ein Problem. Wenn sich auch nur wenig herauslöst, kann das bereits reichen, um eine Wirkung zu erzielen."

Watson fordert, dass nicht nur die Auswirkungen von Chemikalien auf den Östrogensignalweg in Zukunft viel genauer untersucht werden müsse, bevor man sie in Lebensmittelverpackungen einsetzen, sondern auch das Zusammenwirken von zwei oder drei chemischen Verbindungen müsse  überprüft werden. Hormonaktive Stoffe dürften den Markt künftig nicht mehr erreichen.

Anmerkung: Dass die EFSA unabhängig urteilt, wird von manchen Verbraucherschützern bezweifelt. Die Organisation LobbyControl beispielsweise hat den Umgang der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit Seitenwechseln ihrer Mitarbeiter mehrmals gerügt. Die EFSA habe zwar Maßnahmen zum Umgang mit Seitenwechslern ergriffen, diese reichten aber nicht aus, um zukünftige Interessenkonflikte wirksam zu verhindern. Der grüne EU-Parlamentarier Martin Häusling hat in einem Interview mit der Zeit (7.5.2015) kritisiert, "dass Lobbyinteressen die Arbeit der EFSA bestimmen und dass es keine industrieunabhängige Aufsicht gibt."  Und das SWR-Fernsehen (SWR odysso, 10.7.2014) berichtet, dass Mitarbeiter der EFSA in Diensten der wichtigsten Lobbyorganisation der Agrar- und Lebensmittelindustrie der ILSI, das International Life-Science Institute, stehen. Das ILSI

Berliner Ärzteblatt 21.01.2015/ Quelle: Report on the two-phase public consultation on the draft EFSA scientific opinion on bisphenol A (BPA)

 
 
 
 
 
 
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