Mund mit Pille
Medikamente: Krankenkassen und Arzneimittelhersteller streiten über die Gründe für den sich fortsetzenden Ausgabenanstieg
> Arzneimittelausgaben: Was lässt sie steigen?

Trotz aller Sparversuche steigen die
Ausgaben für Arzneimittel weiter an. Warum? Kritiker sagen, dass
Ärzte noch immer zu viel und zu teuer verordnen. Ein Report der
Pharmazeutischen Industrie will nun nachweisen, dass dafür vor
allem die alternde Bevölkerung verantwortlich ist.


Im Jahr 2006 betrugen die Ausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel 25,9
Mrd. Euro und sind um 2,0 Prozent (rund 516 Mio. Euro) im Vergleich
zum Vorjahr gestiegen. Der Arzneimittel-Atlas 2007 nennt als
Hauptursache dafür medizinische Gründe, der den
Mehraufwand in Höhe von insgesamt rund 1,2 Mrd. Euro verursacht
habe. Der überwiegende Teil der verbrauchsbezogenen Mehrumsätze
fließe in die Behandlung weit verbreiteter chronisch
somatischer Erkrankungen (ca. 70 Prozent). Dazu gehören
insbesondere die Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren
(Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen), weitere schwere
Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, schwere
Schmerzen und neurologisch-psychiatrische Erkrankungen.



Die Verordnung neuer, innovativer
Medikamente hat einen weiteren Mehraufwand von etwa 500 Mio. Euro
verursacht. Auch hier sind medizinische und altersbedingte Faktoren
ausschlaggebend. Mehr als zwei Drittel dieser Umsatzsteigerungen
entfallen auf Arzneimittelgruppen, die zur Behandlung von
Krebskrankheiten, psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen
sowie zur Behandlung von häufigen chronischen Erkrankungen
(Asthma/COPD, Fettstoffwechselstörungen) eingesetzt werden.
Damit handele es sich bei den Mehraufwendungen um demografisch
bedingten Mehrverbrauch von Medikamenten, betont der Verband
Forschender Arzneimittelhersteller
(VFA), der den
Arzneimittel-Atlas 2007 in Auftrag gegeben hat.



Einsparungen in Höhe von fast 1,2
Milliarden Euro seien zum Beispiel durch die Wahl preisgünstigerer
Arzneimittel, unter anderem mit Wirkstoffen, die 2006 ihren
Patentschutz verloren haben, oder größere Packungen
zustande gekommen. Darüber hinaus haben erhebliche
Preissenkungen die Kosten gesenkt.



Gar nicht einverstanden mit dieser
Beschreibung der Situation ist das WIdO, das Wissenschaftliche
Institut der AOK. Es kritisiert unter anderem die unzulässige
Verknüpfung von Verordnungsmengen einer Arzneimittelgruppe mit
bestimmten Erkrankungen, Aussagen zur Therapiedauer ohne empirischen
Nachweis, die Ermittelung der Zahl der Patienten mit
Behandlungsbedarf anhand von Patientenbefragungen und nicht auf der
Basis ärztlicher Diagnosen.



So kommt das WIdO zu der Feststellung,
dass es weiterhin wirtschaftliche Fehlversorgung gebe und sich
erhebliche Einsparpotenziale ohne Qualitätsverlust in der
Therapie realisieren ließen. Die Arzneimittelversorgung wäre
2005 um 1,6 Milliarden Euro preiswerter ausgefallen, wenn anstelle
teurer patentgeschützter Analogpräparate ohne
therapeutischen Zusatznutzen preiswerte Generika einer Leitsubstanz
der gleichen Wirkstoffgruppe verschrieben worden wären.
Allerdings: Das Institut der AOK unterstützt eine
Konkurrenzpublikation – den Arzneiverordnungs-Report – , den es
als Standardwerk verstanden wissen will.



WANC 27.07.07

 
 
 
 
 
 
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