Medikamente
Viele Pillen: Gerade ältere Menschen bekommen mehr davon, als gesund ist
> Arzneimittelreport: Von Verschwendung und Fehlverordnungen

Das Zentrum für Sozialpolitik (ZES) der Universität Bremen hat im
GEK-Arzneimittel-Report 2006 die der Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) unter die Lupe genommen. Dabei stellt es
Verschwendung, mangelnde Effizienz und in manchen Fällen sogar ein
Verordnungsverhalten fest, dass die Gesundheit der Patienten gefährdet.


Prof. Dr. Gerd Glaeske, wissenschaftlicher Leiter der Studie, kann
sich aufregen. Seiner Meinung nach ist es schon fast eine vorsätzliche
Verschwendung von Versichertengeldern, wenn so genannte Analogprodukte eine
Steigerungsrate von 20 Prozent aufweisen. Dabei handelt es sich um die
Arzneimittelgruppe, die weniger mit Zusatznutzen als mit hohem Marketingaufwand
und unübersehbaren Werbemaßnahmen von sich reden macht.



"Das größte sinnvolle Einsparpotential liegt derzeit in der
Substitution von Analogpräparaten durch preisgünstigere Alternativen, die im
Generika-Bereich angeboten werden", erklärte Glaeske, der auch Mitglied im
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist.
Auf fast 0,3 Beitragssatzpunkte schätzt er das Einsparvolumen, wenn
verantwortungsvoller verordnet würde.



Doch Glaeske bemängelt nicht nur, dass zu teuer verschrieben wird.
Häufig würde auch falsch oder nicht gemäß der neuesten medizinischen
Erkenntnisse verordnet. Beispiel Hormone: Nach der Ansicht von Glaeske werden
noch immer zu viele Hormone verordnet. Und das, obwohl seit vielen Jahren die
Risiken einer Dauerbehandlung vor allem mit Kombinationspräparaten bekannt
seien: Erhöhung der Brustkebs-, Herzinfarkt-und Schlaganfallrate.



Beunruhigt zeigt sich Glaeske auch in Bezug auf ältere Menschen.
„Vier Wirkstoffe nebeneinander, so eine Grundregel der Arzneimitteltherapie,
sind das Maß für eine begründbare Verträglichkeit“, mahnt der Professor. Doch
die Realität sehe anders aus: „Jeder dritte Mann und jede dritte Frau im Alter
von 70 bis 75 Jahren bekommt aber 5 bis 8 Wirkstoffe, jeder und jede 5. der 85-
bis 90-Jährigen sogar 13 und mehr Wirkstoffe.“ Für Glaeske steht fest, dass
gravierende Wechselwirkungen, die selber Grund für eine der 300.000 arzneimittelbedingten
Krankenhausaufnahmen pro Jahr sein könnten, nicht auszuschließen seien.



Vor allem wundert es, dass in 20 Prozent aller Fälle Wirkstoffe
verordnet werden, die als ungeeignet für ältere Menschen gelten. Dazu gehörten
Wirkstoffe wie Amiodaron, Amitriptylin, Reserpin, Doxepin oder schnell
wirkendes Nifedipin.



Deshalb glaubt Glaeske, dass eine lohnende Investition
industrieunabhängige Pharmaberater der Krankenkassen und ärztlichen
Vereinigungen wären, die den Pharmareferenten der Industrie den Rang ablaufen
sollen. Das könne medizinische Fehlentwicklungen verhindern.



WANC 23.06.06

> Arzneimittelausga- ben: 23 Mrd. Euro im Jahr 2005

> Wechseljahre: Ge- fährliche Rezepte

 
 
 
 
 
 
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