Einsparung bei Medikamenten: Sind 4,5 Mrd. realistisch oder nicht?
> Arzneimittel-Report: Umstrittene Sparpotenziale

Der Arzneimittel-Report analysiert die Entwicklung der Arzneimittelverordnungen. Auf 4,5 Millarden Euro schätzt er das Einsparpotenzial. Bei der Auslegung der Ergebnissse gibt es allerdings riesige Unterschiede. Während die einen die Einsparungen für möglich halten, beklagen andere, dass es dafür keinen Raum mehr gibt und die Arzneimittelversorgung gefährdet ist.

Erstmals seit 1997 konnte 2003 die Kostenflut der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingedämmt werden. Die Arzneimittelkosten beliefen sich einschließlich Zuzahlungen auf 21,1 Mrd. Euro und reduzierten sich im Vergleich zum Vorjahr (21,3 Mrd.) um 235 Mio. Euro. Werden erhöhte Rabattvorteile nicht berücksichtigt, steigen die Ausgaben allerdings um 6,3 Prozent auf 24,1 Mrd. Euro (Vorjahr 6,5 Prozent auf 22,7 Mrd. Euro). Das stellt der Arzneiverordnungs-Report 2004 (AVR) der Herausgeber Prof. em. Dr. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath fest.
  
Der Report gibt einen Überblick über die Entwicklung der Arzneimittelverordnungen und macht Vorschläge zur Nutzung von Einsparpotenzialen in wichtigen Arzneimittelgruppen. Neben den erhöhten Rabatten hat der Report vor allem die Verschreibung von Generika als Kostensenker ausgemacht. So hielt auch 2003 der langjährige Trend zur Verordnung von Generika an, vor allem durch den Patentablauf bei den Statinen (Cholesterinsenker).

Weiterhin, erläutert der Heidelberger Pharmakologe Schwabe, seien die diesjährigen Verordnungsdaten ein gutes Beispiel dafür, wie Ergebnisse der Evidenzbasierten Medizin nicht nur zu einer Qualitätsverbesserung, sondern auch zu einer Kostenreduktion führen können. Als Beispiel dafür nannte er den auffälligen Rückgang von klimakterischen Hormonersatzpräparaten infolge einer geänderten Nutzen-Risiko-Bewertung oder das Antidementivum Donezepil, dessen Nutzenbewertung bei der Behandlung von Alzheimerpatienten durch eine britische Studie unter einer minimal relevanten Schwelle angesiedelt wird.

Trotz vieler Kostensenkungen gibt es noch immer ein großes Einsparpotenzial, das der Arzneiverordnungs-Report für 2003 auf 4,5 Mrd. Euro beziffert. Für die Generika haben die Herausgeber Wirtschaftlichkeitsreserven von 1,45 Mrd. Euro errechnet. Bei den Analogpräparaten sind die Einsparpotenziale um 510 Mio. Euro auf 2,0 Mrd. Euro angestiegen, bei den umstrittenen Arzneimitteln sind sie im Vergleich zum Vorjahr um 122 Mio. Euro auf 1 Mrd. Euro zurückgegangen. Schwabe lobte an dieser Stelle die Bemühungen der Ärzteschaft, die in den vergangenen zehn Jahren bereits 6,7 Mrd. Euro durch ihr kostenbewusstes Verordnungsverhalten im Bereich der umstrittenen und generischen Präparate eingespart haben.

Der Trend der Arzneimitteltherapie geht ungebrochen hin zu neuen patentgeschützten Medikamenten und weg von altbewährten Präparaten, die in der Regel deutlich preiswerter oder als Generika verfügbar sind. Dabei profitieren die Hersteller von dem Glauben der Ärzte und Patienten, alle neuen und teuren Wirkstoffe seien auch "innovativ" und brächten einen Fortschritt für die Therapie, so AVR-Herausgeber Paffrath. Dass dem nicht so ist und was dies dann kostet, zeigt der Arzneiverordnungs-Report, für den 800 Millionen kassenärztliche Verordnungen analysiert werden..

Die Reaktion auf den Report könnten unterschiedlicher nicht sein. Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, meint: "Der Report zeigt, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung ein sehr hohes Niveau der Versorgung mit innovativen und hochwertigen Arzneimitteln erreicht ist. Im letzten Jahr wurden für die Hochleistungsmedizin bereits fast ein Fünftel der Arzneimittelausgaben verwendet, insbesondere in der Transplantationsmedizin, der Krebstherapie und für Aids-Patienten. Wer schwer krank ist und teuere Arzneimittel benötigt, kann sich auf die gesetzliche Krankenversicherung verlassen."

Wer die Kosten treibt, ist für Schröder offensichtlich: "Der Report zeigt aber auch eindrucksvoll zahlreiche Beispiele, dass teure Arzneimittel viel zu oft ohne überzeugenden Grund eingesetzt worden sind, obwohl die Therapie gleich gut mit bewährten Standard-Arzneimitteln hätte durchgeführt werden können. Dieser allzu sorglose Umgang mit teureren Medikamenten ist Kostentreiber in der Arzneimittelversorgung."

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) kritisiert die Ergebnisse des Reports. "Was falsch ist, wird dadurch nicht wahrer, dass man es jedes Jahr wiederholt", schimpft BPI-Vorsitzender Dr. Bernd Wegener. Im Arzneimittelbereich lasse sich nicht weiter sparen - es sei denn zu Lasten der Kranken und Versicherten, betonte Wegener. "Wer in diesem vollständig überregulierten Marktsegment noch Einsparpotential erkennen will, setzt sich dem Verdacht aus, die Fakten zu ignorieren und den Blick für die Realität verloren zu haben."

Als völlig verfehlt bezeichnete Wegener auch den Vorwurf an die Ärzte, sie verordneten nicht sparsam genug. Wegener: "Die Mediziner verordnen ihren Patienten doch nicht wahllos innovative Präparate, um die GKV zu schädigen oder der Pharmaindustrie eine Freude zu machen. Die Ärzte versprechen sich vom überlegten Einsatz moderner Medikamente schlicht die im jeweiligen Fall richtige Arzneimitteltherapie für ihre kranken Patienten. Wenn es anders wäre, würden sie sich dem Vorwurf aussetzen, ihre Patienten schlecht zu therapieren."

Auch die Ärzte können sich mit der Analyse des Arzneimittel-Reports nicht anfreunden. "Zahlen sind kalt und spiegeln nicht die individuellen Nöte und Bedürfnisse der Patienten wider. Jeden Tag müssen Ärzte in ihren Praxen einen manchmal schier unlösbaren Spagat zwischen Ökonomie und optimaler Versorgung hinlegen. Der Arzneiverordnungsreport ist da leider nur ein Theoriewerk der Betriebswirtschaft ohne Bezug zum Praxisalltag", ärgert sich Dr. Leonhard Hansen, Zweiter Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er wies darauf hin, dass "das Gesundheitswesen seit 1992 rund 6,6 Milliarden Euro einsparen konnte - und zwar wegen des veränderten Verordnungsverhaltens der Ärzte. Diese wichtige Nachricht droht unterzugehen." 

Hansen relativiert das von Schwabe vorgerechnete aktuelle Einsparpotenzial von 4,4 Milliarden Euro: "Wir haben bei vielen Krankheiten einen enormen Nachholbedarf in der Arzneimitteltherapie. Diese Aussage gilt nicht im Sinne einer Maximalversorgung. Sie trifft dann zu, wenn alle betroffenen Patienten zum Arzt gehen und eine optimale, leitlinienorientierte Arzneimittelversorgung in Anspruch nehmen würden. Die KBV hat hier allein für 17 Krankheiten einen Mehrbedarf von über sechs Milliarden Euro errechnet." Der KBV-Vize warnte davor, den Bürgern zu suggerieren, weitere
Einsparungen seien in ihrem Interesse.

WANC 19.10.04
 
 
 
 
 
 
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