Versorgung chronisch Kranker: Hausarzt als Coach (Foto: TK)
> Chronisch Kranke: Neue Betreuungskonzepte gesucht

Lag die Zahl der chronisch Kranken weltweit im Jahr 2000 noch bei 46 Prozent, so rechnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis 2020 mit einem Anteil von 60 Prozent. Neue Strategien werden gesucht, wie diese Menschen zukünftig versorgt und betreut werden sollen.

Der Altersdurchschnitt in der Bevölkerung steigt stetig und immer mehr Menschen leiden unter chronischen Erkrankungen. Besonders häufig sind Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Asthma oder Depression.
Doch wie sieht die optimale Betreuung dieser Patientengruppe aus? Lassen sich sogenannte "Chronic Care Models" auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen?

"Unser Gesundheitssystem ist noch nicht optimal auf die Langzeitbetreuung chronisch Kranker ausgerichtet - der Fokus liegt bisher eher auf der Versorgung akut erkrankter Menschen", so Professor Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt. "Unser Ziel ist es, Strategien zur optimalen Betreuung zu finden, um langfristige Verbesserungen zu erzielen."

Derzeit werden 80 Prozent der Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland von 20 Prozent der Versicherten mit einer oder mehreren chronischen Erkrankungen verursacht. Eine Verbesserung in der Aufwand-Nutzen-Relation durch eine langfristig angelegte Patientenbetreuung für und mit den Erkrankten ist nicht nur dringend erforderlich, sondern soll nachhaltig den Krankheitsverlauf der Patienten positiv beeinflussen.

Gesucht sind vor allem Verbesserungsmöglichkeiten im Zusammenspiel von Ärzten und Patienten in der Langzeittherapie chronischer Krankheiten. Eine zentrale Rolle sollen dabei die Hausärzte übernehmen, denn chronisch Kranke werden in erster Linie durch sie betreut. Aber auch die Patienten selbst sollen in Zukunft stärker gefordert werden: Um die eigene Erkrankung besser zu verstehen und positiv zu beeinflussen, sollen Patienten mehr als bisher eingebunden werden.

Je nach Erkrankung können sie sich vermehrt selbst kontrollieren und durch konsequentere Umsetzung der Maßnahmen den Therapieerfolg fördern. Beispiele hierfür sind die Selbstmessung des Blutzuckers oder Blutdrucks, die selbstständige Durchführung von Bewegungsübungen oder die Umstellung der Ernährung. Durch Schulungen und Informationsmaterialien sollen Patienten hierbei gezielt unterstützt werden.

Vor allem die Hausarztpraxen sollen in Zukunft vermehrt auch diese Anleitungs- und Coaching-Funktionen ausfüllen und ihrer Rolle als lokale Kompetenzzentren zur Versorgung chronisch Kranker gerecht werden. Hier ist das gesamte Praxisteam gefordert. Neben der medizinischen Betreuung durch den Arzt können zukünftig auch Arzthelferinnen unterstützend in der langfristigen Organisation der Patientenführung wirken. Sie sollen unter anderem die Umsetzung der ärztlich verordneten Therapien fördern und an notwendige Kontrolluntersuchungen aktiv erinnern.

Das Praxisteam soll dabei nicht nur wie bisher reagieren und warten bis Patienten mit einem akuten Problem zum Arzt kommen. Chronisch Kranke sollen vielmehr vorausschauend und vorbeugend begleitet werden. Hierzu soll auch die Kooperation zwischen Hausärzten, Fachspezialisten sowie Kliniken durch eine intensivere Vernetzung weiter verbessert werden.

Die hierzulande bereits etablierten "Chronikerprogramme" für Patienten mit Diabetes und Koronarer Herzkrankheit sollen zudem weiterentwickelt und der häufigen Multimorbidität, also dem gleichzeitigen Vorliegen mehrerer Erkrankungen, stärker Rechnung getragen werden.

Dr. Ed Wagner, Direktor des MacColl Institute in Seattle und Leiter des amerikanischen Programms zur Versorgung chronisch Kranker, hat das "Chronic Care Model" entwickelt. Das Konzept zielt auf die optimale Zusammenarbeit von besser informierten und aktivierten Patienten auf der einen Seite und einem besser vorbereiteten, vorausschauend handelnden Praxisteam auf der anderen Seite ab. "Das Modell wird bereits in verschiedenen Ländern der Welt erfolgreich umgesetzt und von der WHO zur allgemeinen Anwendung empfohlen", erklärt Dr. Rafael Bengoa, Direktor des Programms "Management Chronischer Erkrankungen" der WHO.

Könnte so etwas auch in Deutschland funktionieren? "Entscheidend wird sein, ob es Ärzten und ihren Patienten gelingt, gemeinsam für die notwendige Kontinuität in der Behandlung zu sorgen", so Dr. med., Dipl.-Päd. Jochen Gensichen, Leiter des Arbeitsbereichs Chronic Care und Versorgungsforschung am Frankfurter Institut für Allgemeinmedizin. Gensichen will ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Praktikern für den deutschsprachigen Raum gründen, das die Zusammenarbeit sowie den Wissenstransfer auf dem Gebiet der Versorgung chronisch Kranker in der hausärztlichen Versorgung verbessern soll.

WANC 18.10.05
 
 
 
 
 
 
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