Euro-Zeichen
Verlorene Euro: Betrug, Verschwendung und Korruption im Gesundheitswesen
> Betrug im Gesundheitswesen: Schaden in Milliarden Höhe

Ein besonders anfälliges Gebiet für Korruption ist
das öffentliche Gesundheitswesen. Das beklagt Transparency International
Deutschland. Den Schaden, der dadurch entsteht, schätzt die Organisation auf
zwischen 8 und 24 Mrd. Euro.


Vielleicht ist es diese große Bandbreite, die einen etwas
ungläubig werden lässt. Und so ist es auch kein Wunder, dass die Kritiker von Transparency
genau hier einhaken. Beispielsweise wies die Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV) diese Schätzungen zurück. Alles nur Behauptungen, keine harten Fakten, monierte
KBV-Sprecher Roland Stahl.



Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) reagiert verschnupft. "Die gesamte Pharmabranche in Deutschland unter den Generalverdacht
der Korruption zu stellen, ist schlicht unseriös. Die pharmazeutischen
Unternehmen haben selbst das größte Interesse, dass Verstöße gegen geltendes
Recht entsprechend sanktioniert werden", schimpfe Dr. Bernd Wegener, Vorsitzender des BPI. Korruption, Abrechnungsbetrug und Tricksereien gehörten
geahndet und hätten im Gesundheitswesen nichts verloren, so Wegener. Aber einen
gesamten größtenteils mittelständisch geprägten Wirtschaftzweig mit
unbewiesenen Bestechungsvorwürfen in Misskredit zu bringen, überschreite die
Grenze des Verträglichen.



Ein paar harte Fakten liefert immerhin die Kaufmännische
Krankenkasse – KKH. Diese hat Betrugsfälle im bundesdeutschen Gesundheitswesen aufgedeckt,
die sich allein in den Monaten Januar bis April 2006 auf über 350.000 Euro summieren.
Deutschlandweit hatte die Kasse im vergangenen Jahr Abrechnungsmanipulationen in Höhe
von rund einer Million Euro aufgespürt.



Das „Jahrbuch Korruption – Schwerpunkt: Korruption im
Gesundheitswesen“ analysiert die Situation des Gesundheitswesens in Deutschland
mit Vergleichen zur Situation in den deutschsprachigen Ländern Österreich und
Schweiz. Die drei Autoren erklären dazu: „Deutschland ist nach den USA und der
Schweiz das drittteuerste Land, was die Kosten seines Gesundheitswesens angeht.
Die Leistungen für die Versicherten und der Gesundheitszustand der Menschen in
Deutschland liegen im internationalen Vergleich aber nur im Mittelfeld. Wir
fragen uns und die Öffentlichkeit seit nunmehr mehr als fünf Jahren: Welchen
Anteil an dieser Diskrepanz haben Misswirtschaft, Betrug und Korruption im
Gesundheitsbereich? Eine Antwort auf unsere diesbezüglichen Fragen sind uns
Bundes- und Landesregierungen seit unserer ersten Untersuchung 2001 immer noch
schuldig.“



Dr. Gabriele Bojunga von TI-Arbeitsgruppe „Korruption im
Gesundheitswesen“ unterstreicht: „Die Strukturprobleme im Gesundheitswesen
liegen im Überangebot an Waren und Dienstleistungen und der Reaktion von Bund
und Ländern auf diese Situation des Überflusses. Die Überalterung der
Gesellschaft spielt eine geringere Rolle, und die Kostensteigerungen für
Behandlungen sind durch strukturelle Mängel, darunter auch Korruption,
hausgemacht. Wie kämen sonst andere Länder mit weniger Geld aus, bei denen die
Menschen nicht kränker sind als bei uns und genauso lange leben?“



Nach Ansicht von Transparency haben sich Betrug,
Verschwendung und Korruption im Gesundheitswesen in Deutschland im Laufe der
Jahrzehnte kontinuierlichen Wirtschaftswachstums in die Strukturen unseres auf
Länderebene organisierten Gesundheitswesens regelrecht eingefressen. Der
einzelne Arzt, Zahnarzt oder Apotheker, der einzelne Versicherte, der einzelne
kleine Anbieter von Waren oder Dienstleistungen könne sie – auch bei großer
Anstrengung - angesichts der Marktmacht der einschlägigen Industrie und ihrer
Verbände und angesichts der intransparenten, verkrusteten Strukturen von
Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht kaum durchschauen, geschweige denn
verändern.



Die dadurch jährlich entstehenden Verluste schätzt die
Organisation auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.



Zu lange habe die Politik der Wirtschaft nachgegeben, statt
ihr einen Rahmen zuzuweisen, und zu lange hat sie die öffentlich-rechtlichen
Körperschaften des Gesundheitswesens auf der Länderebene sich selbst
überlassen, statt nach einem für alle verbindlichen Kontrollinstrumentarium zu
suchen. Transparency fordert deshalb ein Anti-Korruptionsprogramm, das sich in
der Neuregelung des Gesundheitswesens wiederfinden muss, um künftige
Fehlleitungen der knappen Ressourcen zu unterbinden. Es müsse eine Kultur
entstehen, die Korruption im Medizinbereich ächtet.



Transparency International wurde 1993 gegründet und ist eine
internationale Nichtregierungsorganisation, die sich ausschließlich dem Kampf
gegen Korruption und für Transparenz in Politik und Wirtschaft verschrieben
hat. Transparency International hat seinen Sitz in Berlin und unterhält
nationale Sektionen in ca. 90 Ländern weltweit.



WANC 18.05.06

 
 
 
 
 
 
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