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Kritik hagelt es an der Gesundheitsreform von Dr. Philipp Rösler (Foto: philipp-roesler.de)
> Gesundheitsreform: Auf dem Rücken der Versicherten

Der Bundestag hat die
Gesundheitsreform durchgewunken. Der Gesundheitsminister verspricht,
dass alles, was da auf uns zukommt, ist gerecht, stabilisiert das
Gesundheitssystem und erhält die Versorgungsqualität. Doch die Reform
hat viele Kritiker. Die sehen keine Gerechtigkeit, sondern nur einen
Zahler: den Versicherten. Aller anderen Teilnehmer am Gesundheitssystem
– vor allem Ärzte, Arbeitgeber und Pharmaindustrie – würden verschont.
Dr. Philipp Rösler, Gesundheitsminister der FDP, beschreibt die
Situation so: “Die Gesundheitsausgaben steigen, und sie wachsen
schneller als die Einnahmen aus den Beiträgen der Versicherten. Wenn
wir die Leistungen für alle Menschen sichern und deren Qualität
erhalten wollen, muss die Gesundheitspolitik heute die richtigen
Weichen stellen. Sie muss vorausschauend handeln und zugleich die
aktuellen Probleme lösen, die sich für das Jahr 2011 abzeichnen.
 In
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird für das kommende Jahr
ein Defizit von bis zu 11 Milliarden Euro erwartet. Ein Grund für
diesen hohen Fehlbetrag ist die Abhängigkeit der Beitragseinnahmen von
der konjunkturellen Entwicklung. Und diese sind, ausgelöst durch die
weltweite Finanzkrise, insbesondere im vergangenenJahr stark
eingebrochen. Zeitgleich sind die Ausgaben in einzelnen
Leistungsbereichen der GKV, z. B. für Arzneimittel, stark angestiegen.“ Wie hoch das Defizit nun tatsächlich wird weiß in der Tat niemand so
genau. Auch das Gesundheitsministerium scheint da nicht ganz sicher. An
anderer Stelle spricht es nämlich von 9 Milliarden Euro. Tragen sollen
das Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen und die Pharmaindustrie durch
“gezielte Ausgabenbegrenzungen“. Hier erhofft sich Rösler ein
Einsparvolumen im Jahr 2011 von rund 3,5 Milliarden Euro, das im Jahr
2012 auf vier Milliarden Euro wachsen soll. Da fällt die Rechnung einfach, wie viel auf die Schultern der
Versicherten geladen wird: zwischen 5,5 und 7,5 Milliarden Euro, je
nachdem, wie viel Miese die Krankenkassen tatsächlich machen. Und woher
kommt das Geld? Der Beitragssatz in der gesetzlichen
Krankenversicherung wird von 14,9 auf 15,5 Prozent angehoben. Doch die Lasten werden nicht gleichmäßig auf Arbeitnehmer und –geber
verteilt. Der Beitragssatz für Arbeitnehmer und Rentner wird um 0,3
Prozentpunkte angehoben: er steigt am 1. Januar 2011 von 7,9 auf dann
8,2 Prozent. Der Beitragssatz der Arbeitgeber steigt dann von jetzt 7,0
auf 7,3 Prozent. Auch hier zeigt eine einfach Rechnung, dass die
Versicherten mehr schultern müssen, als die Arbeitgeber. Doch der wirkliche Pferdefuss steckt in den Zusatzbeiträgen. Was Rösler
und seine Mannen so schön unscheinbar und unverfänglich
„Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge“ nennt und als einen „Weg für
eine stärkere Entkoppelung von Krankenversicherungs- und
Lohnzusatzkosten“ preist, ist nichts anderes als eine versteckte
Abwälzung aller Gesundheitskosten allein auf den Arbeitnehmer. 
Rösler verklausuliet das so: „Damit wird der Faktor Arbeit bei
steigenden Gesundheitsausgaben nicht mehr stärker belastet. Das sorgt
dafür, dass in wirtschaftlich schlechten Zeiten Arbeitsplätze besser
geschützt sind und entspricht dem Erfordernis, Beschäftigung stärker
abzusichern.
 Durch die Zusatzbeiträge in Euro und Cent erhalten die
Menschen ein nachvollziehbares Preissignal. Durch die bessere
Vergleichbarkeit der Krankenkassen wird der Wettbewerb der
Krankenkassen um die Versicherten gestärkt. Am Ende können die
Versicherten entscheiden, welche Krankenkasse gut ist und welche nicht.“ De facto sieht die Regelung der Zusatzbeiträge so aus: Die Krankenkasse
dürfen Zusatzbeiträge in beliebiger Höhe festsetzen. Der Zusatzbeitrag
ist eine feste Eurosumme. Er ist unabhängig vom Einkommen ebenso wie
vom Gesundheitszustand, Alter und Geschlecht des Mitgliedes. Wenn
dieser Betrag erhoben wird, muss die Kassen ihren Versicherten darüber
informieren. Der hat ein Sonderkündigungsrecht und kann sich – falls es
sie gibt – ein günstigere Kasse suchen. Für Einkommensschwächere hat sich die Politik einen Sozialausgleich
ausgedacht. Der Sozialausgleich greift immer dann, wenn der
„durchschnittliche Zusatzbeitrag" die Grenze von zwei Prozent der
beitragspflichtigen Einnahmen eines Mitglieds übersteigt. Ob das der
Fall ist, wird vom Arbeitgeber bzw. von der Rentenversicherung geprüft.
Der Ausgleich soll einfach funktionieren.  Der einkommensbezogene
Krankenversicherungsbeitrag wird um den entsprechenden Euro-Cent-Betrag
des durchschnittlichen Zusatzbeitrages reduziert. Damit erhöht sich das
ausgezahlte Nettoeinkommen. Die Hoffnung der Politik: „Arbeitgeber und
Rentenversicherungsträger werden das unbürokratisch und unkompliziert
über ihre Computerprogramme handhaben können.“ Das Reformwerk ist heftigst umstritten. So hat das
SPD-Parteivorstandsmitglied Björn Böhning hat die Gesundheitsreform der
Bundesregierung scharf kritisiert. Er nannte es im Deutschlandradio das
„asozialste Reformwerk der letzten 50 Jahre “. Thüringens
Sozialministerin Heike Taubert (SPD) sprach von einem rabenschwarzen
Tag für alle gesetzlich Krankenversicherten. Auch die evangelische Kirche protestierte gegen die Gesundheitsreform.
Menschen mit geringem Einkommen, chronisch Kranke und Behinderte würden
zusätzlich belastet. Die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, die schon in der vorangegangenen Gesundheitsreform
ausgehöhlt worden sei, stehe nun endgültig auf dem Spiel. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wirft dem
Bundesgesundheitsminister vor, vor allem im Sinne der Pharmaindustrie
und der Ärztelobby zu agieren. "Mit diesem Gesetzentwurf will sich
Gesundheitsminister Rösler offenbar als Schutzheiliger der Pharma- und
Ärztelobby verewigen. Das KV-Finanzierungsgesetz ist ein
Patienten-Ausplünderungsgesetz geworden. Das provoziert den Widerstand
aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer", sagte
Verdi-Bundesvorstandsmitglied Ellen Paschke. Selbst aus den eigenen
Reihen der Regierungskoalition kommt nicht nur Zustimmung. Der
Emmendinger CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß hat Teile der heute
beschlossenen Gesundheitsreform für eine neue Krankenkassenfinanzierung
kritisiert. WANC 15.11.2010, Quelle: BMGS, epd, dnews, TV Südbaden, morgenweb
 
 
 
 
 
 
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