Geld
Mehr Geld für Gesundheit müssen Versicherte zahlen
> Gesundheitsreform: Der Elefant gebar eine Maus

Viel geredet wurde über eine Jahrhundertreform. Von
dem Meisterstück der Bundeskanzlerin. Doch was Angela Merkel und ihre Eleven
zustande gebracht haben, hat mit einer echten Reform wenig zu tun.


Schon im Vorfeld war klar, dass die Vorstellungen der beiden
Regierungslager so weit auseinander lagen, dass eine Einigung schwer fallen
würde. Kein Wunder, dass im Vorfeld und während der schleppenden Verhandlungen
die Konzepte für ein mögliches neues Gesundheitssystem und dessen Finanzierung
Hochkonjunktur hatten.



Dennoch trauten viele nur einer großen Koalition die Kraft
zu, eine wirkliche Reform unseres Gesundheitssystems durchzusetzen. Alle die,
die so spekuliert haben, wurden enttäuscht. Heraus gekommen ist nicht die
erwartete Veränderung des Systems, sondern ein Reförmchen. Hier die wichtigsten
Punkte.



Die Kassenbeiträge werden ab Anfang 2007 um 0,5 Prozent
erhöht.



Die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wandern in einen
Gesundheitsfonds. Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) erhalten daraus für
jeden Versicherten den gleichen Betrag. Sollte dieser nicht ausreichen, können
sie bei den Versicherten Zuschläge erheben. Die Höhe der Zuschläge ist begrenzt
auf ein Prozent des Haushaltseinkommens. Der Kasse bleibt es dabei überlassen,
ob sie einen einkommensabhängigen oder einen festen Betrag erhebt. Abschläge
sind möglich, wenn die Kassen den Beitrag aus dem Fonds nicht vollständig
aufbrauchen.



Die Mitversicherung der Kinder wird künftig über Steuern
finanziert. 2008 fließen aus dem Steuersäckel 1,5 Mrd. Euro, ab 2009 dann 3 Mrd.
In den darauf folgenden Jahren erhöht sich der Steueranteil bis zu den
Gesamtkosten der Kinderversicherung in Höhe von etwa 16 Mrd. Euro. Diese
Steuerfinanzierung soll auch Kinder von Privatversicherten einschließen. Eine
Steuererhöhung soll es nicht geben.



Die privaten Krankenversicherungen bleiben bestehen. Die Privaten müssen aber
in Zukunft wie die Gesetzlichen jeden aufnehmen. Die Rückkehr von der privaten
in die gesetzliche Versicherung soll erleichtert werden.



Der Leistungskatalog der GKV wird nicht eingeschränkt. Folgekosten von Tattoos,
Piercing und Schönheitsoperationen, soweit sie medizinisch nicht notwendig sind,
muss der Patient künftig selbst bezahlen. Die Schmerzbehandlung unheilbar
Kranker soll ausgeweitet werden.



In das System soll mehr Transparenz einkehren. Dazu gibt es für die Kassen künftig
nur noch einen Spitzenverband. Das Punktesystem für die Honorierung
niedergelassener Ärzte verschwindet, stattdessen gibt es eine Gebührenordnung in
Euro und Cent. Die ärztliche Leistung wird mit Pauschalbeträgen vergütet. Die
ambulante Versorgung in Kliniken wird ausgeweitet.



Stimmen zu den Grundzügen der Gesundheitsreform:



Sozialverband Deutschland: In einer ersten Bewertung stellen wir fest, dass die von der
Großen Koalition beschlossenen Eckpunkte für eine Gesundheitsreform in die
falsche Richtung gehen. Die Große Koalition setzt bei der Problemlösung an der
falschen Stelle an. Anstatt einer echten Strukturreform, die Wirtschaftlichkeitsreserven
erschließt, bittet die Große Koalition erneut die gesetzlich
Krankenversicherten zur Kasse. Die geplante Erhöhung der Beitragssätze
bedeutet: Die Patienten zahlen wieder drauf. Das lehnen wir entschieden
ab. Die Beitragssatzerhöhung wäre nicht erforderlich, wenn die Krankenkassen
weiterhin die 4,2 Milliarden Euro jährlich aus der Tabaksteuer erhalten würden. Mit ihrem Beschluss, diesen
Steuerzuschuss zu streichen, hat die Große Koalition das Finanzloch selbst
aufgerissen. Was den Einstieg in die steuerfinanzierte Kindermitversicherung
betrifft, geben wir zu bedenken, dass jede Steuerfinanzierung das Risiko von
haushaltsbedingten Kürzungen birgt. Das hat die Große Koalition mit der Streichung der Tabaksteuer selbst
vorgemacht. Kernleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie die
kostenlose Kindermitversicherung dürfen aber nicht von der Haushaltslage
abhängig sein. Der von der Großen Koalition beschlossene Gesundheitsfonds ist
ein Irrweg. Mit dem Gesundheitsfonds werden die strukturellen Probleme der
gesetzlichen Krankenversicherung in keiner Weise gelöst. Der Gesundheitsfonds
bedeutet die Verlagerung aller künftigen Finanzrisiken auf die Versicherten.
Die Einführung des Gesundheitsfonds muss verhindert werden.



Bundesärztekammer: Wir begrüßen die Absicht der Großen Koalition, mit der nächsten Gesundheitsreform
die Prävention zu stärken und die palliativmedizinische Versorgung zu
verbessern. Wir anerkennen auch die Bemühungen der Gesundheitspolitiker, für
die Ärzte berechenbare Vergütungsstrukturen aufzubauen und überbordende Bürokratie abzubauen.
Aber, bei allem Wohlwollen, eine Blaupause für eine nachhaltige Finanzreform
der gesetzlichen Krankenversicherung sind diese Eckpunkte nicht. Da wird die
demografische Herausforderung beschrieben und infolgedessen ein zusätzlicher
Finanzbedarf, aber man bleibt die Antwort schuldig, wie Ärzte und Patienten mit
schon bestehender Unterfinanzierung und Rationierung umgehen sollen. Das
Fondsmodell würde Möglichkeiten bieten, über eine Steuerfinanzierung nicht nur der
Versicherungsbeiträge für Kinder, sondern auch der versicherungsfremden
Leistungen zu einer dauerhaften Konsolidierung der Finanzgrundlagen der GKV
beizutragen, doch bedürfte es dazu einer wirklich verlässlichen Politik. Insofern
sind auch die politischen Intentionen zur Einführung einer Euro-Gebührenordnung
höchst kritisch zu hinterfragen.



Kassenärztliche Bundesvereinigung: Mit vielen Zielsetzungen können wir uns grundsätzlich
identifizieren. Entscheidend werden letztlich die Detailformulierungen sein. Wir
begrüßen es, dass die Koalition ein neues Vergütungssystem für Ärzte einführen
und die Budgets abschaffen will. Außerdem soll das Morbiditätsrisiko auf die Krankenkassen übergehen. Zudem
erkennt die Politik die unverzichtbare Rolle der Kassenärztlichen Vereinigungen
für die Sicherstellung einer flächendeckenden ambulanten Versorgung an. Erfreulich ist
auch, dass die Politik ihrer Verantwortung für die Bürokratielast in den
Arztpraxen Rechnung trägt. So stellt die Reduzierung von
Wirtschaftlichkeitsprüfungen auf 'gravierende Fälle von Ressourcenverschwendung' bei Arzneimitteln eine konkrete
Maßnahme dar, die die Bürokratie für die niedergelassenen Vertragsärzte mindern
wird. Grundsätzlich stimmen wir auch der Einholung einer Zweitmeinung bei der
Verordnung von kostenintensiven oder speziellen Arzneimitteln zu. Dies darf
aber keine Einbahnstraße sein, sondern sollte gleichermaßen für Haus- wie für
Fachärzte gelten. Wir appellieren an die große Koalition, eine nachhaltige Finanzierungsreform
zu beschließen. Es ist eine Tatsache, dass wir den hohen quantitativen und qualitativen Stand der
ambulanten Versorgung nur erhalten können, wenn die chronische
Unterfinanzierung beseitigt wird.



BDI Bundesverband der Deutschen Industrie: Es ist ein positives Signal, dass die Große Koalition
willens ist, mit der dringend notwendigen Reform unseres Gesundheitswesens zu
beginnen. Die Finanzierung über den Gesundheitsfonds mit Pauschalbeiträgen von
den einzelnen Versicherten ist jetzt so auszugestalten, dass mehr Wettbewerb,
Effizienz und Transparenz im Gesundheitssystem realisiert werden. Zugleich
müssen innovative Produkte für eine hochwertige Patientenversorgung auch zukünftig finanziert werden können.
Wichtig ist auch, dass die Steuerfinanzierung für die Versicherung der Kinder ohne
Steuererhöhung umgesetzt werden soll. Negativ zu bewerten sei, dass die
Regierung noch keinen wirksamen Schritt zur Entkopplung der Gesundheits- von
den Arbeitskosten gehe. Im Gegenteil: Die Erhöhung der Beiträge für 2007 um 0,5
Prozentpunkte geht völlig in die falsche Richtung. Das ist umso erstaunlicher, da die Regierung mit dem Ziel angetreten ist,
die Lohnzusatzkosten zu senken.



Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW): Mit den Eckpunkten zur Gesundheitsreform entfernt sich die
Große Koalition von dem sinnvollen Ziel, die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten
abzukoppeln. Denn die Anhebung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge um
insgesamt 0,5 Prozentpunkte belastet im nächsten Jahr den Faktor Arbeit
zusätzlich um fünf Milliarden Euro. Im Verbund mit der Mehrwertsteuererhöhung
wird dieser Schritt massive Nebenwirkungen haben: Binnennachfrage und Konsum
sowie die Bereitschaft der Unternehmen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, werden erheblich
geschwächt. Zumal weitere Risiken hinzukommen, etwa die nach wie vor drohende Steuererhöhung zur Finanzierung der Gesundheitsreform.
Schwarz-Rot hat wohlweislich nur für diese Legislaturperiode steigende Steuern
ausgeschlossen. Solange indes noch großes Einsparpotenzial auf der
Ausgabenseite besteht, der Leistungskatalog sakrosankt bleibt, und die Bürokratiekosten
durch den Gesundheitsfonds eher noch steigen, dürfen die Beitragszahler nicht
noch weiter zur Kasse gebeten werden.



Verband der privaten Krankenversicherung (PKV): Fokus der gesundheitspolitischen Reformmaßnahmen ist wieder
einmal die Steigerung der Einnahmen. Die notwendige Konzentration und Reduktion
des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist dagegen
ausgeblieben. Das zentrale Problem - die demografische Entwicklung in Kombination
mit dem medizinisch-technischen Fortschritt - ist nicht angegangen worden. Das
erfolgreiche Geschäftsmodell der PKV soll durch eine Summe von Einzelmaßnahmen
geschwächt werden. Ein schwerer Schlag gegen die Wahlfreiheit der Versicherten
ist die vorgesehene Regelung, nach der Angestellte erst nach dreimaligem Überschreiten
der Versicherungspflichtgrenze zur PKV wechseln können. Die vorgesehene Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung im
Bestand und deren Mitnahme auch in die GKV ist objektiv unmöglich und stößt -
dessen ungeachtet - auf rechtlich unüberwindbare Hindernisse.



BPI Bundesverband.der Pharmazeutischen Industrie: Die große Koalition war angetreten mit den selbst gesteckten
Vorgaben die Kassenbeiträge von den Lohnkosten abzukoppeln, mehr Wettbewerb in
das Gesundheitswesen einzuführen und die Eigenverantwortung und
Wahlmöglichkeiten für die Versicherten zu stärken. In vielen Punkten müssen wir
leider feststellen, dass das Klassenziel nicht erreicht wurde. Erkennbare
nachhaltige Strukturverbesserungen, die die verkrusteten Partikularinteressen
der Akteure im Gesundheitswesen aufbrechen müssten, sind nicht auszumachen.Im Arzneimittelbereich wird der unsinnige Weg
der Kostendämpfung durch die Einführung eines Höchstpreissystems fortgesetzt.
Falls das jährliche Sparziel von 500 Millionen Euro bei den Preisverhandlungen zwischen Apotheken und
Arzneimittelherstellern nicht erreicht wird, sollen nach den Plänen der
Koalition die Apotheker zukünftig den Differenzbetrag finanzieren und an die Krankenkassen
abführen müssen. Dies ist ein höchst zweifelhafter Eingriff in das
Marktgeschehen und konterkariert den Wettbewerbsanspruch der Bundesregierung.
Bei den strukturellen Unterschieden der an den Tisch gezwungenen
Verhandlungspartner ist dieses Vorhaben als außerordentlich
mittelstandsfeindlich und kontraproduktiv für die Bemühungen einer
Standortkonstanz der pharmazeutischen Industrie zu werten.



Deutscher Generikaverband: Es ist den Verhandlungspartnern der Großen Koalition nicht
gelungen, eine zukunftsweisende Strukturreform auf den Weg zu bringen.
Stattdessen verliert sich die Politik in Stückwerk und vollzieht im Arzneimittelbereich sogar Rückschritte. Apotheker
sollen nach dem Eckpunkte-Papier zur Gesundheitsreform 2006 zwar in
beträchtlichen Umfang zur Kasse gebeten werden, können diese Belastungen aber
durch flexible Einkaufspreise bei der Industrie wieder kompensieren. Diese
"Einsparungen" sollen dann - zumindest theoretisch und zum Teil - den
Kassen zugute kommen. Aus Sicht des Deutschen Generikaverbandes ist aber nicht nachvollziehbar,
dass Maßnahmen, die erst mit dem jüngsten Arzneimittelspargesetz in Kraft
getreten sind, mit den jetzt geplanten Reformschritten wieder zur Disposition
gestellt werden sollen.



WANC 04.07.06

 
 
 
 
 
 
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