Röntgenaufnahme
Behandlungsfehler: Die meisten werden außergerichtlich geklärt
> Ärztliche Behandlungsfehler: Zahlen übertrieben?

Über die Zahl der ärztlichen Behandlungsfehler gibt
es nur Schätzungen. Tatsache jedoch ist, dass sich etwa die Hälfte der Vorwürfe
als unberechtigt herausstellt. Und was dann noch übrig bleibt, wird meist
außerhalb der Gerichte geregelt.


400.000 bis 500.000 Patienten sollen in Deutschland jährlich
falsch behandelt werden. Nach Ansicht des Arzthaftpflichtversicherer
DBV-Winterthur sind diese Schätzungen weit überzogen. Im Jahr 2005 gingen bei
der Versicherung 4.583 Meldungen über vermeintliche Behandlungsfehler ein. Von
diesen Vorwürfen waren 47 Prozent berechtigt, 53 Prozent jedoch nachgewiesen unberechtigt.
Bei der DBV-Winterthur sind 122.000 Ärzte berufshaftpflichtversichert.



Dass aus den Vorwürfen keine langwierigen Verfahren werden,
dafür sorgt „das moderne und objektive Schadenmanagement“. Das bedeutet, dass
eine mögliche Auseinandersetzung erst gar nicht an die große Glocke gehängt
wird: Die außergerichtliche Einigung hat unbedingte Priorität, wie die
Versicherung sagt. Unmittelbar nach einer Schadenmeldung klären spezialisierte
Volljuristen gemeinsam mit erfahrenen Beratungsärzten eine mögliche
Haftungssituation. Ziel ist eine zeitnahe und zugleich richtige Entscheidung.
In deren Folge werden berechtigte Ansprüche angemessen befriedigt und
unberechtigte mit nachvollziehbarer Begründung zurückgewiesen. 92 Prozent aller
Fälle konnten auf diese Weise außerhalb des Gerichtssaals geklärt werden.



Bei der Entscheidungsfindung spielen die Gutachter- und Schlichtungsstellen
nach Erfahrung der Versicherung eine große Rolle. In über einem Drittel aller
Fälle werden diese durch den Patienten angerufen. Ihr Ergebnis wird meist von
allen Beteiligten akzeptiert. Der Anteil der Schlichtungsverfahren beträgt 34
Prozent. Ein gerichtliches Verfahren wird nur aufgenommen, wenn es unvermeidbar
ist. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Forderungen der Höhe nach
deutlich über den Vergleichsbeträgen der Rechtsprechung liegen. "Vor
diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass der beklagte Arzt nur selten den
Prozess verliert", resümiert Patrick Weidinger, Leiter Arzthaftpflicht,
"von den acht Prozent aller Fälle, in denen es zum Zivilprozess kam, hat
der Arzt nur bei sechs Prozent 'verloren', das sind gerade einmal 0,48 Prozent
aller Fälle."



Ob das allerdings dafür spricht, dass die Patienten öfter Unrecht
haben und unberechtigte Forderungen stellen, bleibt dahin gestellt. Kritiker
mahnen an, dass die Gutachter auch Ärzte sind, die ihren Kollegen nicht ans
Schienbein treten wollen. Oder, dass die Ärzte häufig die versiertere
rechtsanwaltliche Vertretung bekommen. Vor allem fällt es aber meistens schwer,
das tatsächliche Verschulden des einzelnen Arztes nachzuweisen.



Für den Marburger Bund, der die Interessen der Krankenhausärztinnen
und -ärzte vertritt, sind ärztliche Behandlungsfehler immer seltener die Schuld
eines einzelnen Arztes sondern eine Verkettung unglücklicher Umstände.
"Die herkömmliche Herangehensweise mit der Suche nach einem Schuldigen
läuft oft ins Leere", so Dr. med. Matthias Albrecht, Vorsitzender des
Landesverbandes Berlin/Brandenburg und Klinikarzt. Der Marburger Bund fordert
deshalb einen neuen Umgang mit Fehlern. Viel versprechende Ansätze seien unter
anderem anonyme Fehlermeldesysteme, bei denen Ärzte aus den Fehlern anderer
lernen können, die strukturierte Aufarbeitung von Zwischenfällen im Team sowie
eine echte integrierte Versorgung, die den gesamten Patienten im Blick behält.
Dr. Albrecht: "Fehler können wir nie ganz ausschließen. Aber wenn wir massiv
in diese Fehlervermeidungsinstrumente investieren und gleichzeitig eine neue
Fehlerkultur schaffen, werden wir Schadenfälle minimieren."



Genau dieser Ansicht ist auch der Bonner Medizinprofessors
Martin Hansis. Er geht davon aus, dass sich die Medizinfehler ein effektives
"Risk Management", bei dem in aller Offenheit intern über jedes
Missgeschick diskutiert wird, um die Hälfte reduzieren lassen. Als erster müsse
der Chef über eigene Missgeschicke reden, um den untergebenen Ärzten die Angst
vor Konsequenzen zu nehmen.



WANC 28.04.06

 
 
 
 
 
 
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