Foto: DAK/Scholz
Im Krankenhaus geschehen laut EU-Kommission zu viele Behandlungsfehler -auch an der Hygiene mangelt es (Foto: DAK/Scholz)
> Krankenhaus: Zu viele Behandlungsfehler

Die Europäische Kommission moniert die
hohe Zahl von Behandlungsfehlern in den Krankenhäusern der EU. Außerdem
bemängelt der EU-Gesundheitskommissar die mangelnde Hygiene in den
Krankenhäusern. Nach Angaben der EU-Kommission in Brüssel schadet jede
zehnte Behandlung im Krankenhaus den Patienten. Und jährlich sollen
37.000 Menschen an Infektionen sterben, die sie erst in einem
Krankenhaus erworben haben. Die Bundesärztekammer sieht in den
Äußerungen reine Panikmache. Die Schuld haben die anderen.
„In der Europäischen Union entsteht bei jeder zehnten medizinischen
Behandlung im Krankenhaus ein Schaden für die Patienten. Viele dieser
medizinischen Behandlungsfehler sind vermeidbar”, klagte
EU-Gesundheitskommissar John Dalli der Tageszeitung “Die Welt”. Abhilfe könnten laut Dalli ein besseres Management in den
Krankenhäusern und eine permanente Weiterbildung des Personals Abhilfe
schaffen. Er forderte die Mitgliedsländer zudem auf, die Rechte von
Patienten bei Behandlungsfehlern zu verbessern: „Wir fordern, dass
medizinische Behandlungsfehler von den zuständigen Behörden erfasst
werden, dass Klagen erleichtert und Entschädigungen für die Betroffenen
sichergestellt werden.” In Deutschland gibt es weder ein Melderegister bei Behandlungsfehlern
noch ein Patientenrechtegesetz. Behandlungsfehler können von
betroffenen Patienten Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei
den Ärztekammern gemeldet werden, von denen sie dann auch bearbeitet
werden. Ansonsten bleibt nur der direkte Gang vor die Gerichte. Die
Bundesärztekammer führt über die von ihre bearbeiteten
Behandlungsfehler eine Statistik. Im Jahr 2009 gab es 7.424 gemeldete
Fälle. Dabei wurde in 2184 Fällen ein Behandlungsfehler oder
Risikoaufklärungsmangel festgestellt. Die Bundesärztekammer feiert es, dass in 90 Prozent der Fälle die
Entscheidungen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen von
beiden Parteien akzeptiert und die Streitigkeiten beigelegt werden.
Werde doch noch der Rechtsweg beschritten, würden die Gutachten der
Kommissionen überwiegend bestätigt. Genau das beklagen
Verbraucherschützer und Patientenorganisationen. Denn von
Unabhängigkeit könne man kaum sprechen – eine Krähe hacke der anderen
schließlich kein Auge aus. Außerdem wird immer wieder bemängelt, dass
Ärzte nicht verpflichtet sind, Fehler selbst zu melden. Das beruhe auf
Freiwilligkeit. Wie wenig die Patientenrechte in Deutschland im Grunde zählen, zeigt,
dass die aktuelle Broschüre, die vom Bundesgesundheitsministerium zum
Thema Patientenrechte herausgegeben wird, aus dem Jahr 2003 stammt
(Patientenrechte in Deutschland – Leitfaden für Patienten und Ärzte).
Sie wurde im Jahr 2005 neu aufgelegt – nahezu unverändert. Auch die Hygienesituation in Krankenhäusern wird von Dalli kritisiert.
„Die Europäische Kommission erwartet, dass die Krankenhäuser die
Hygienemaßnahmen zum Wohle der Patienten konsequent sehr streng
kontrollieren und höchste Sicherheitsstandards einhalten”, so der
EU-Gesundheitskommissar. Es dürfe in diesem Bereich nicht gespart
werden, auch wenn viele Krankenhäuser zunehmend unter finanziellem
Druck stehen. „Die Situation ist alarmierend. Rund 37.000 Menschen sterben pro Jahr
in der EU durch Krankenhausinfektionen, und 4,1 Millionen Patienten
werden jährlich durch Krankenhauskeime infiziert”, erklärte Dalli. Der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH),
Klaus-Dieter Zastrow, sagte in diesem Zusammenhang dem Blatt: „Bei
vielen medizinischen Behandlungen werden die Mindeststandards der
Hygiene nicht eingehalten. Es sterben viele Menschen, die nicht sterben
müssten.” Konkret beklagte Zastrow, der Chefarzt für Hygiene in den
Berliner Vivantes-Kliniken ist: „Intensivstationen sind vor allem
nachts nicht immer ausreichend besetzt, um die für das Wohl des
Patienten notwendigen Hygienemaßnahmen durchzuführen. Das ist ein
Problem.” Zastrow forderte einheitliche Hygienevorschriften in Deutschland. „Der
Gesetzgeber muss endlich handeln und in ganz Deutschland einheitliche
Vorschriften zur Krankenhaushygiene erlassen. Bakterien sind überall
gleich, für sie gibt es keine Unterschiede zwischen den Bundesländern.”
Um die Hygiene in Krankenhäusern zu verbessern, sei es notwendig, dass
jedes Krankenhaus mit mehr als 450 Betten einen Facharzt für Hygiene
beschäftigt. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe,
kanzelt die Äußerungen des EU-Gesundheitskommissars als reine
Panikmache ab:
„Aufklärung statt Panikmache sollte der politische
Grundsatz eines EU-Gesundheitskommissars sein. Doch das, was John Dalli
jetzt zu Klinikbehandlungen und Krankenhaushygiene von sich gegeben
hat, ist alles andere als eine sachliche Analyse. Mit seinen
undifferenzierten Behauptungen erreicht er nur eines, große
Verunsicherung der Patienten.” Ist es wirklich Verunsicherung? Oder eher Aufklärung? Ist es wirklich
Panikmache? Oder eher Nennen der Probleme? Patienten fragen sich, warum
sie derartige Zahlen, denen ja nicht wiedersprochen wird, nicht kennen
sollen? Dass es insgesamt eher weniger um Problembewältigung denn um
Verteidigung von Status geht, zeigen auch die weiteren Einlassungen
Hoppes. Er preist die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der
Ärztekammern, das Register der gemeldeten Fälle und das sogenannte
Medical Error Reporting System, das unter anderem Aufschluss darüber
gebe, bei welchen Diagnosen und Therapiemaßnahmen Behandlungsfehler
vermutet wurden und welche Fachgebiete betroffen sind. Dagegen werden die vom Patientenbeauftragten der Bundesregierung,
Wolfgang Zöller, angemahnte neue Fehlerkultur in der Medizin, die er
mit Hilfe eines Patientenrechtegesetzes umsetzen wolle, als überflüssig
gebrandmarkt. Geld soll nicht für die Entschädigung von Opfern
ausgegeben werden, sondern lieber für die Honorierung von Ärzten. Hoppe: „Statt gefällige Forderungen nach einem Melderegister oder einem
Entschädigungsfonds zu erheben, wäre es sinnvoller dazu beizutragen,
die eigentlichen Ursachen für Mängel in der Patientenversorgung zu
bekämpfen. Es ist widersprüchlich, wenn die Politik einerseits eine
fachgerechte Behandlung nach wissenschaftlich anerkanntem
Qualitätsstandard festschreiben will, andererseits aber die dafür
notwendigen Finanzmittel immer weiter begrenzt. Die forcierte
Wettbewerbsorientierung mit Risikoauslese, der Abbau der
flächendeckenden Versorgung und ökonomisch geprägte Therapievorhaben
gefährden den Anspruch der Patienten auf eine wissenschaftlich
gesicherte und anerkannte ärztliche Behandlung immens.” Was die mangelnde Hygiene in Krankenhäusern betrifft, schiebt der
oberste Ärztevertreter die Schuld von den Ärzten: „Unbestritten ist,
dass die Gefahr einer Infektion mit Bakterien in Krankenhäusern und
Altenheimen steigt. Dies liegt jedoch nicht nur daran, dass der Einsatz
von Antibiotika mehr Bakterien resistent werden lässt. Ein weiterer
Grund ist, dass bei einer - aus finanziellen Gründen - ausgedünnten
Personaldecke in den Kliniken immer mehr Risikopatienten behandelt
werden, die anfälliger für eine Krankenhausinfektion sind.” Vor allem aber geht es vorrangig um mehr Geld. Hoppe: „Insbesondere die
Bundesländer sind gefordert, nicht nur die Vorgaben in entsprechendes
Landesrecht umzusetzen, sondern vor allem die nötigen finanziellen
Mittel für zusätzliches Hygienepersonal zur Verfügung zu stellen.“ WANC 11.01.11, Quelle: Die Welt, EU, Bundesärztekammer
 
 
 
 
 
 
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