Männer und Frauen sind anders krank

Auch bei Krankheiten existiert der gewisse Unterschied zwischen Mann und Frauen. Das betrifft nicht nur die Symptome einer Krankheit, sondern auch das Ansprechen auf eine Therapie und den Umgang mit der Erkrankung. Obwohl das schon lange bekannt ist, gibt es kaum geschlechtspezifische Behandlungsstrategien.

Die koronare Herzkrankheit ist die häufigste Todesursache bei Frauen und Männern in Deutschland. 393.778 Personen sind nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2002 an Krankheiten des Herzkreislaufsystems verstorben. Der prozentuale Anteil von Herzkreislaufkrankheiten an der Gesamt-Sterblichkeit ist mit 49,2 % dabei bei Frauen deutlich größer als bei Männern (38,1%).

Obwohl die erheblichen Geschlechtsunterschiede seit Jahren bekannt sind, gibt es bisher keine spezifischen Behandlungsstrategien für Männer und Frauen. Diagnostiziert und behandelt wird in der Regel auf der Basis von Erfahrungswerten sowie evidenzbasierten Leitlinien, die auf Studien beruhen, die am "30-jährigen weißen Mann" orientiert sind. Jedoch: "Frauen sind anders krank", bestätigte Prof. Dr. Herbert Schuster, INFOGEN Institut für Gesundheitsforschung und Gesundheitsmanagement.

So nimmt die medizinische Unterversorgung von Frauen bedrohliche Ausmaße an. Nach einer Studie der Berliner Ärztekammer sterben noch im Krankenhaus 18% der Frauen an den Folgen eines Herzinfarkts, während dies nur für 9% der Männer zutrifft. Die Gründe sind vielfältig und noch immer nicht vollständig erkannt. "Deshalb muss das individuelle Profil der Patienten - Männer und Frauen - stärker berücksichtigt werden. Und das nicht nur im Rahmen der medizinischen Behandlung, sondern auch bei der Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen für das Gesundheitswesen und bei regulatorischen Verfahren, wie z.B. dem geplanten Präventionsgesetz", forderte Schuster und ergänzte: "Nur so kann sicher gestellt werden, dass Behandlungsstrategien optimal greifen."

Darüber hinaus gilt es, die individuellen Unterschiede zu berücksichtigen, mit denen Menschen auf medikamentöse Behandlungsstrategien ansprechen. Genetische Faktoren spielen dabei eine große Rolle. Neue biologische Testverfahren - wie der weltweit erste pharmakogenomische Genchip für die klinische Routinediagnostik - tragen dazu bei, den Einsatz von bestimmten Medikamenten sicherer und effektiver zu bestimmen. Dieses Wissen ist die Basis für eine auf das Individuum zugeschnittene Medizin der Zukunft.

"Personalisiert" bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass jede Patientin und jeder Patient eine eigene Therapie erhalten wird. Eher wird es in Zukunft ein weitaus größeres Spektrum an Diagnose- und Therapieangeboten geben, aus dem die Ärzte die für ihre Patienten individuell am besten geeigneten Maßnahmen auswählen. Dadurch werden die Zielgruppen, für die Medikamente entwickelt werden, kleiner und spezifischer.

Das ist Neuland für die Pharmazie, ermöglicht durch Innovationen der molekularen Diagnostik. Neu ist ebenfalls eine differenzierte Betrachtung von Gesundheit und Krankheit. Menschen sind nicht entweder gesund oder krank, sondern befinden sich auf einem Punkt eines fortlaufenden Prozesses und bewegen sich dabei in die eine oder andere Richtung. Gesundheit ist kein statischer Zustand, sondern wird Tag für Tag durch unterschiedlichste Faktoren beeinflusst.

Dies erfordert fortdauernd Anpassungsleistungen und aktive Bewältigung. "Wir bleiben nicht automatisch in einem gesunden Gleichgewicht, sondern wir müssen den Stressoren, die uns ständig attackieren, aktiv begegnen, um unsere Gesundheit aufrecht zu erhalten", erklärt Prof. Dr. Alexa Franke, Rehabilitationswissenschaftlerin, Klinische Psychologin und Psychotherapeutin, Universität Dortmund.

Der individuelle Unterschied im Umgang mit Krankheit ist darüber hinaus auch geschlechtsspezifisch. So hat die Analyse des Berliner Herzinfarktregisters ergeben, dass nur die Hälfte aller Frauen eine Herzkathetertherapie erhalten. Bei den Männern sind dies immerhin zwei Drittel. Eine schlechtere Behandlung erfahren die Frauen jedoch nicht etwa, weil sie Frauen sind, sondern weil sie nicht in den richtigen, für die Therapie gut ausgerüsteten Kliniken versorgt werden oder zumindest erst sehr zeitverzögert dorthin gelangen.

"Das verwundert nicht", sagt Prof. Dr. Herbert Schuster, "denn Frauen zeigen bei einem Herzinfarkt oft eine andere Symptomatik als Männer. Auch weisen Frauen mehr Risikofaktoren und Vorerkrankungen auf. Sie leiden häufiger an einem hohen Blutdruck, Übergewicht und Diabetes mellitus, was die Infarktwahrscheinlichkeit erhöht und die Prognose verschlechtert.

Zu den ersten Anzeichen eines Herzinfarkt bei einem Mann gehört in der Regel Engegefühl im Brustbereich mit Ausstrahlungsschmerzen in den linken Arm. Dahingegen spüren Frauen zunächst Oberbauchbeschwerden und Übelkeit." Das führt dazu, dass bei Frauen adäquate diagnostische und therapeutische Maßnahmen häufig verspätet eingesetzt werden. Weibliche Patienten rufen auch später den Notdienst als männliche.

Frauen werden jedoch nicht nur anders therapiert; vielmehr wirken viele Arzneimittel bei ihnen auch anders. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen haben Frauen ein meist geringeres Körpergewicht, ein anderes Verhältnis aus Fett- und Muskelmasse. Die Konzentration an Sexualhormonen im Körper beeinflusst zudem die Pharmakokinetik von Medikamenten.

Für die Verstoffwechslung vieler Wirkstoffe ist ein körpereigenes Enzymsystem verantwortlich: das in der Leber lokalisierte Cytochrom P 450 (CYP 450). Die zu diesem Enzymsystem gehörenden Gene Cytochrom P450 2D6 und 2C19 sind an der Metabolisierung von rund 25 Prozent aller Arzneimittel beteiligt. Das Gen CYP2D6 kodiert Enzyme, die Antidepressiva, Psychopharmaka, Antiarrhythmika (Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen), Schmerzmittel, Antiemetika (Medikamente gegen Erbrechen) und Betablocker (Arzneimittel, die die Neurotransmnitter Adrenalin und Noradrenalin hemmen) metabolisieren; das Gen CYP2C19 kodiert Enzyme, die Antikonvulsiva (Pharmaka, die die neuronale Aktivität vermindern und dadurch epileptische Anfälle verhindern oder unterdrücken können), Protonenpumpenhemmer (Substanzen, die die Sekretion der Magensäure hemmen), Antikoagulanzien (Hemmstoffe der Blutgerinnung), Benzodiazepine (Psychopharmaka mit sedativer Wirkung) und Malariamittel verstoffwechseln.

Hier setzt der AmpliChip CYP450-Test an, der weltweit erste pharmakogenomische Genchip mit CE-IVD-Kennzeichnung. Er analysiert die genetische Variation der beiden Gene und ermittelt aus den gewonnenen Erkenntnissen, ob ein Patient einen Wirkstoff langsam, mittel, schnell oder ultraschnell - und im Extremfall überhaupt nicht - verstoffwechselt. Mit der Einführung des Tests in der klinischen Routinediagnostik ab Dezember 2004 wird erstmals die Wirksamkeit und Verträglichkeit bestimmter Medikamente messbar werden.

Die dadurch gewonnenen Informationen können dem Arzt bei der Medikamentenwahl und Festsetzung der Dosis von Arzneimitteln helfen, die für eine optimale Wirkstoffkonzentration im Blut nötig ist. "Dies kann dazu beitragen, die Therapie individuell sicherer und effizienter zu gestalten", sagte Prof. Dr. Ivar Roots, Leiter des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Charité, Berlin. "Angesichts der hohen Zahl von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) - rund 6 Prozent aller Krankenhauseinweisungen sind darauf zurück zu führen - spielt die Berücksichtigung der Pharmakogenetik in der medizinischen Praxis eine immer wichtigere Rolle. Deswegen sollten die aktuellen Entwicklungen gerade im pharmakogenetischen Bereich Eingang in die klinische Routine finden", forderte Roots.

Die Entwicklung in der personalisierten Medizin geht weiter. So werden DNA-Chips aufgrund ihrer Fähigkeit, verschiedene Varianten von Genen gleichzeitig zu bestimmen, zu einem bedeutenden Instrument für die Erforschung, Diagnose und Therapie auch von anderen Krankheiten, darunter Krebs. Mit ihrer Hilfe werden möglicherweise die Überlebenschancen von Tumorpatienten stark verbessert werden können, weil die Therapie so präziser ausge-richtet werden kann. Dazu ist es wichtig, die der Krankheit zugrunde liegenden genetischen Veränderungen zu kennen.

WANC 25.11.04





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/25_11_mann_frau.php
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