Jetzt kommt ‘Viagra für die Frau’

Es hat lange gedauert. Der Wirkstoff Flibanserin, ursprünglich zur Behandlung von Depressionen entwickelt, soll nun unter dem Präparatenamen Addyi zur Steigerung der sexuellen Lust bei Frauen auf den Markt kommen. In den USA hat sich zumindest die Food and Drug Administration (FDA - Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde) dafür ausgesprochen, nachdem sie es 2010 und 2013 abgelehnt hatte. Das bedeutet, dass das Mittel wohl auch in Deutschland und Europa erhältlich sein wird. Zweifel am Nutzen und an den Risiken bleiben.

Dass die FDA die Zulassung nun befürwortet, hat viel überrascht. Das Deutsche Ärzteblatt führt diese Entscheidung auf eine "intensive Lobby-Kampagne" zurück. Denn das Mittel hätte "in klinischen Studien nicht alle Beobachter überzeugt, und die FDA hatte zwei frühere Zulassungsanträge abgelehnt."

Nach dem Motto, man muss nur lange genug testen, dann findet man schon irgendeine Wirkung, wurde eine weitere Studie durchgeführt und danach noch eine. Die letztere kam dann zu dem Ergebnis, dass Flibanserin die Anzahl befriedigender Sexualkontakte um zusätzlich 0,5 bis 1 Ereignis pro Monat erhöht und eine Verbesserung des „Female Sexual Function Index“ um 0.3 bis 0.4, auf einer Skala von 1.2 bis 6 zeigt.  Eine Verbesserung der Sexualität für das "Pink Viagra" genannte Medikament von 51%, für das Scheinmedikament (Placebo) von 38% angegeben.

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) nennt das "geringe, aber statistisch signifikante Effekte". Von der FDA wird berichtet, dass man zwar weiter Vorbehalte hatte, aber immerhin eine gewisse Wirkung feststellen könne. Die Gutachter votierten schließlich mit 18 zu 6 Stimmen für die Zulassung. Bis Ende August 2015 soll nun die endgültige Entscheidung fallen.

Die Frage ist, in wie weit die unerwünschten Nebenwirkungen ins Gewicht fallen: Sie umfassen Schwindel (häufig, >10%), Müdigkeit und Übelkeit. Auch Schlaflosigkeit, Angstzustände und eine Vielzahl von körperlichen Beschwerden wie etwa Mundtrockenheit und Bauchschmerzen wurden beobachtet. Bei 16 von etwa 4000 Studien-Personen wurden Hypotonien (stark erniedrigter Blutdruck) und Synkopen (Kreislaufkollaps, Ohnmacht) registriert. Außerdem wirkte sich gleichzeitiger Alkoholgenuss negativ aus. Interaktionen mit Medikamenten, die auch über CYP3A4 verstoffwechselt werden, stellen ein weiteres Problem dar.

Die DGE erklärt die Wirkung von Flibanserin so: Es wirkt über Serotonin- und Dopamin-Rezeptoren im Gehirn. Es stellt einen Agonisten des Serotonin-Rezeptors 5-HT1A dar, antagonisiert aber den Rezeptor 5-HT2A. Am Dopamin-Rezeptor D4 wirkt es als schwacher Partialagonist. Es beeinflusst somit die Freisetzung von Neurotransmittern, die bei der Steuerung der Geschlechtsfunktion mitwirken: Das sexualitätshemmende Serotonin wird vermindert, Dopamin und Noradrenalin werden erhöht, was insgesamt sexualitätssteigernd wirkt. Täglich sollen am Abend 100mg eingenommen werden.

Kommentar von Prof. Helmut Schatz, Bochum, DGE: "Im DGE-Blogbeitrag vom 27. Januar 2015 wurde über die von der Endocrine Society empfohlene niedrigdosierte Testosteron-Gabe bei verminderter Sexualität nach dem Wechsel berichtet. Jetzt könnte in den USA bald auch für Frauen vor dem Wechsel ein Medikament zur Steigerung des weiblichen Geschlechtsverlangens und –erlebens verfügbar werden. Bei einer öffentlichen Anhörung im Anschluß an die Sitzung wurde vehement die Zulassung von Flibanserin gefordert, und der FDA ein „gender bias“, ja sogar Sexismus vorgeworfen: Die FDA hätte bereits mehrere Präparate zur Steigerung der männlichen Sexualität zugelassen trotz nicht völlig ausgeräumter Wirksamkeits- und Sicherheitsbedenken. Irvin Goldstein vom Institut für Sexualmedizin in San Diego, einer der ersten Untersucher des Sildefanil (Viagra) sagte, die Frauen sollten nun selbst entscheiden können („Give women the right to choose“). Ablehnend äußerte sich Cindy Pearson vom Nationalen Netzwerk für Frauengesundheit der USA. Sie meinte, die Risiken würden den Nutzen überwiegen. Diese beträfen insbesondere gleichzeitigen Alkoholkonsum und Medikamenteninteraktionen. Man rechnet jedoch damit, dass die FDA Flibanserin bald zulassen wird."

15.06.2015/ Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/flibanserin-15-06-15.php
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