Gebratene bzw. frittierte Kartoffelerzeugnisse sind mit 49% die Hauptquellen für Acrylamid, danach folgen Kaffee (34%) und Toastbrot (23%) (Foto: Paul-Georg Meister/ pixelio.de)
Gebratene bzw. frittierte Kartoffelerzeugnisse sind mit 49% die Hauptquellen für Acrylamid, danach folgen Kaffee (34%) und Toastbrot (23%) (Foto: Paul-Georg Meister/ pixelio.de)
> Acrylamid in Lebensmitteln: Gefährlich

Dass Acrylamid weit davon entfernt ist, unbedenklich für die Gesundheit zu sein, das weiß man schon seit einigen Jahren. Warum es so schädlich ist und welche Auswirkungen es genau hat, dazu gab es bisher wenige konkrekte Hinweise, dafür aber viele Vermutungen. Nun hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein wissenschaftliches Gutachten zu Acrylamid veröffentlicht. Darin werden zwar Einschätzungen bestätigt, dass Acrylamid in Lebensmitteln das Krebsrisiko potenziell erhöht. Dennoch lautet das Urteil der Behörde, dass eigentlich keine gesundheitlichen Bedenken bestehen.

Acrylamid ist ein chemischer Stoff, der sich in stärkehaltigen Lebensmitteln beim Braten, Backen und Rösten sowie der industriellen Verarbeitung bei Temperaturen über 120°C und bei  geringer Feuchtigkeit bildet. Der dabei ablaufende chemische Prozess nennt sich Maillard-Reaktion lässt die Lebensmittel auch braun werden und nimmt Einfluss auf deren Geschmack. Acrylamid bildet sich aus Zuckern und Aminosäuren (vor allem Asparaginsäure), die in zahlreichen Lebensmitteln natürlicherweise vorkommen. Acrylamid wird aber auch außerhalb der Lebensmittelindustrie vielfach eingesetzt und findet sich u.a. in Tabakrauch.

Acrylamid wird aus den Lebensmitteln im Magen-Darm-Trakt aufgenommen, in alle Organe verteilt und dann in einem hohen Maße verstoffwechselt. Glycidamid ist eines der Hauptstoffwechselprodukte dieses Prozesses. Die EFSA geht davon aus, dass dieser Stoff die wahrscheinlichste Ursache der in Tierstudien beobachteten Genmutationen und Tumoren.

Hier ist dann aber schon wieder Schluss mit den beweisbaren Erkenntnissen, offenbart das EFSA-Gutachten einen immer noch bestehenden - und leider immer noch nicht letztlich geklärten (warum nur?) - Erklärungsnotstand. Befunde aus Tierstudien zeigen, Dass Acrylamid und sein Metabolit Glycidamid genotoxisch und karzinogen sind, d.h. dass sie die DNA schädigen und Krebs erzeugen, ist bisher nur in Tierstudien nachgewiesen. Studien an Menschen gibt es immer noch kaum, die Erkenntnisse daraus seien noch begrenzt und nicht schlüssig, sagt die EFSA.

Mögliche schädliche Auswirkungen von Acrylamid auf das Nervensystem, die prä- und postnatale Entwicklung sowie die männliche Fortpflanzung kann die EFSA nicht erkennen. Sie wird von den eingeschalteten Gutachten "als unbedenklich erachtet".

Das Gutachten stellt darüber hinaus fest, dass sich Acrylamid in einer Vielzahl alltäglicher Lebensmitteln findet. Am häufigsten würden gebratene bzw. frittierte Kartoffelerzeugnisse, Kaffee, Kekse, Kräcker und Knäcke- sowie Toastbrot verzehrt. Aber natürlich ist das letztlich ja alles gar nicht so schlimm. Denn die EFSA beruhigt: "Obwohl einige Lebensmittelkategorien, wie „Kartoffelchips und Snacks“ oder „Kaffee-Ersatzmittel“ relativ hohe Mengen an Acrylamid enthalten, ist ihr Gesamtbeitrag zur lebensmittelbedingten Exposition, ausgehend von einer normalen bzw. abwechslungsreichen Ernährung, begrenzt."
 
Könnte man doch glatt erleichtert aufatmen. Doch dann offenbart das Gutachten Empfehlungen für die tolerierbare Dosis von Acrylamid. Zwar räumt die EFSA ein, das jedes Ausgesetztsein "gegenüber einem genotoxischen Stoff potenziell in jeder Höhe die DNA schädigen bzw. Krebs erzeugen kann". Und deshalb könne man eigentlich keine tolerierbare Menge angeben, tut es dann auch. Und die liegt zwischen 0,17 mg (für Tumoren) und 0,43 mg (für neurologische Veränderungen) pro KG Körpergewicht am Tag.
Foodwatch weißt darauf hin, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass die tägliche Belastung mit Acrylamid ein Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht nicht überschreiten soll. Der Vorschlag der EFSA übersteigt diese Regel um das 170- bzw. 430-Fache.

Die EFSA hantiert darüber hinaus mit dem Martin of Exposure (MOE), der Hinweise auf den Grad der gesundheitlichen Bedenklichkeit liefern soll. Die EFSA hat einen MOE von 10.000 und mehr als gesundheitlich wenig bedenklich eingestuft. Den MOE von Acrylamid variiert zwischen  425 für für Erwachsene mit durchschnittlicher Aufnahme und 50 für Kleinkinder mit hoher Aufnahme. Die EFSA führt aus: "Für nicht-gentoxische Stoffe bedeutet ein MOE von 100 oder darüber in der Regel, dass keine Bedenken für die öffentliche Gesundheit bestehen."  Da vorher Acrylamid aber als gentoxischer Stoff ist, wundert die darauf folgende Feststellung dann doch: "Die EFSA-Sachverständigen kamen zu dem Schluss, dass hinsichtlich dieser Effekte die derzeitige ernährungsbedingte Exposition keine gesundheitlichen Bedenken hervorruft, auch wenn für Kleinkinder und Kinder mit hoher ernährungsbedingter Exposition der MOE in Nähe der Werte liegt, die im Hinblick auf die genannten Effekte bedenklich sein könnten."

Anmerkung: Das Gutachten kann verwirren. Die Botschaft des "wissenschaftlichen" Gutachtens ist: Acrylamid ist zwar gefährlich, aber man kann ruhig alle Lebensmittel weiter zu sich nehmen, weil im Grunde das Gefährdungspotential relativ gering ist. Das gefällt der Lebensmittelindustrie. Doch irgendwie hat das alles einen komischen Beigeschmack. Und dann fällt einem ein, dass es schon immer nicht wenig Kritik an der EFSA gegeben hat. Lobbypedia prangert z.B. an: "Mitglieder des Verwaltungsrates der EFSA und die Mehrzahl der WissenschaftlerInnen der Wissenschaftlichen Gremien haben parallel Posten bzw. Verbindungen zu Lobbyverbänden der Lebensmittelindustrie bzw. den Lebensmittelkonzernen selbst. Es bestehen deswegen starke Zweifel, ob die EFSA nur für das Allgemeinwohl handelt. Ihr wird - belegbar - vorgeworfen, dass sie die Interessen der Industrie, insbesondere die der Gentechnik-Industrie, zu stark berücksichtigt."

Und Lobbycontrol weiß zur EFSA zu berichten, dass "59% der Mitarbeiter laut einem Bericht unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) Verbindungen zur Landwirtschafts-/Lebensmittelindustrie haben".
Da darf man sich dann fragen, welchen Wert die Empfehlungen der EFSA tatsächlich haben.

11.06.2015/ Quelle: EFSA

Zusammenfassung: Acrylamid in Lebensmitteln
http://www.efsa.europa.eu/de/corporate/doc/acrylamide150604de.pdf

Information: Acrylamid
http://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/acrylamide.htm?activeTab=5

 
 
 
 
 
 
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