> Gefährliche Arzneimitteltherapie bei älteren Menschen
Patienten über 65 Jahren schlucken durchschnittlich fast fünf Mal so viele Medikamente wie jüngere Menschen. Dabei sind sie anfälliger für unerwünschte Nebenwirkungen. Etwa jeder vierte Patient erhält mindestens ein potenziell gefährliches Arzneimittel. Vor allem Frauen sind davon betroffen.
 
Das Problem verkennen viele: Im Alter reagiert der Körper anders auf Arzneimittel: Nieren und Leber funktionieren nur noch eingeschränkt. Das Immunsystem ist gestört und die Muskelmasse geringer als bei jungen Menschen. Das führt dazu, dass ältere Menschen die chemischen Substanzen der Arzneimittel langsamer abbauen. Viele Senioren sind allerdings gleich mehrfach erkrankt und benötigen eine umfangreiche Medikation, deren Wechselwirkungen vom behandelnden Arzt nicht überblickt werden. Das stellt Ärzte in der Praxis häufig vor das Dilemma, ältere und multimorbide Patienten angemessen zu versorgen, ohne ihnen mit den Medikamenten zusätzlich zu schaden. Insbesondere Frauen nehmen besonders häufig ungeeignete Wirkstoffe ein.

Hilfe soll die Priscus-Liste bieten, die 83 für älteren Menschen eher ungeeignete Wirkstoffe enthält. Unter den 20 am häufigsten verordneten Wirkstoffen der Priscus-Liste befanden sich bereits in früheren Auswertungen vor allem psychogene Substanzen wie Schmerzmittel und Antidepressiva sowie Mittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Verteilung hat sich auch 2011 nicht verändert. Der mit mehr als 22 Millionen Tagesdosen am häufigsten an AOK-Patienten über 65 Jahren verordnete Wirkstoff war im vergangenen Jahr das Bluthochdruckmittel Doxazosin. Knapp 20 Millionen Tagesdosen wurden von Amitriptylin verordnet. Dieser Wirkstoff gehört zur Gruppe der Antidepressiva, die auf der Priscus-Liste besonders stark vertreten sind. Weiblichen Patienten wird Amitriptylin etwa drei Mal so häufig wie Männern verschrieben. Auf Platz drei der am meisten verordneten Priscus-Wirkstoffe steht Etoricoxib, von dem über 13,4 Millionen Tagesdosen abgegeben wurden. Auch dieses Rheumamittel wird deutlich häufiger an Frauen verschrieben – sie nehmen mehr als doppelt so viel Etoricoxib wie die Männer ein.
 
Die hohe Konzentration der Priscus-Wirkstoffe auf bestimmte Indikationsbereiche erklärt laut Wissenschaftlichem Institut der AOK (WIdO), warum vor allem Hausärzte, Internisten und Nervenärzte die potenziell gefährlichen Wirkstoffe verordnen. Doch auch Urologen verordnen sehr häufig Priscus-Wirkstoffe. Dabei stammen nur vier Wirkstoffe aus der Urologie. Nervenärzte verschreiben etwa jedem zweiten ihrer Patienten (49 Prozent) über 65 Jahren einen der betroffenen Wirkstoffe. Bei den Hausärzten waren es nur 29 Prozent. Darüber hinaus verordnen Nervenärzte deutlich mehr Tagesdosen pro Patient als ihre Kollegen aus anderen Fachbereichen. Während ein Allgemeinarzt im Jahr 2010 durchschnittlich 17,3 Tagesdosen pro Patient verordnet hat, waren es bei den Nervenärzten etwa 40,4 Tagesdosen.
 
wanc 29.03.2012/ Quelle: Versorgungs-Report 2012 des WIdO
 
 
 
 
 
 
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