Sex im Alter: Es darf Spaß machen

Alter ist kein Grund, auf Sex zu verzichten. Doch auch wenn sich im Alter die Sexualität verändert, sie spielt auch in der zweiten Lebenshälfte für die Mehrheit eine wichtige Rolle. Doch mit den Veränderungen müssen die Betroffenen offen umgehen.

Auch wenn die meisten jüngeren Menschen sich nicht vorstellen können, dass ihre Eltern und Großeltern sexuell aktive Wesen sind, akzeptiert man heute doch weitgehend, dass Menschen auch im fortgeschrittenen Alter in ihrem Schlafzimmer mehr tun als Händchen halten. Es wird sogar als anrührend empfunden, wenn der „zweite Frühling“ erwacht oder ein Mann und eine Frau noch nach Jahrzehnten der Zweisamkeit liebevoll miteinander umgehen.

Was ist aber, wenn nach vielen gemeinsamen Jahren ein Partner sexuell noch aktiv ist, während der andere die Lust daran verloren hat? Wie sieht es mit außerehelichen sexuellen Kontakten oder käuflicher Liebe im Alter aus? Was ist, wenn alte Menschen sexuell eher von jüngeren stimuliert werden als von der eigenen Generation? Wie passen körperliche Behinderungen und Sexualität zusammen? Und was machen eigentlich Homosexuelle im Alter?

„Die Sexualität des Menschen verändert sich zwar mit den Jahren, aber sie bleibt auch im Alter genauso vielschichtig und individuell unterschiedlich wie bei jungen Menschen“, sagt Dipl.-Soz. Carsten Brandenberg aus der Memory-Clinic des Elisabeth-Krankenhauses Essen. „Umfragen belegen aber: Sex – egal wie jeder einzelne ihn auslebt – spielt auch in der zweiten Lebenshälfte für die Mehrheit eine wichtige Rolle.“

Störfaktoren
In der Regel nimmt die Häufigkeit sexueller Kontakte im Alter ab, nicht jedoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität. Bei den meisten Frauen bleibt die sexuelle Erregbarkeit auch nach den Wechseljahren bis ins hohe Alter erhalten. Männer hingegen müssen im Seniorenalter mit größeren Veränderungen rechnen. Ihre Erregung läuft mit zunehmenden Lebensjahren zumeist langsamer ab.

Störfaktoren, die den Sex im Alter beeinträchtigen können, sind in erster Linie körperliche Erkrankungen und chronische Schmerzen. Internistische Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Rheuma treten häufiger auf und können Lust und Erregbarkeit negativ beeinflussen. Auch Störungen des Hormonhaushaltes oder Medikamenteneinnahmen können das Lustgefühl oder die Erektionsfähigkeit mindern.

Krebsbehandlungen haben ebenfalls häufig starke Auswirkungen auf die Sexualität. Besonders Brustamputationen stellen eine Belastung für das sexuelle Selbstwertgefühl dar. Körperliche Folge einer Strahlentherapie kann u.a. eine Entzündung in der Scheide sein. Infolge gynäkologischer Operationen sind Schmerzen durch Verwachsungen oder Narben möglich, die das sexuelle Vergnügen mindern.

Auch Prostataoperationen können – wenn auch selten – zu Potenzproblemen führen. Viele Frauen haben im Alter Probleme mit dem Feuchtwerden der Scheide oder Harninkontinenz. Beides kann dazu führen, dass sexuelle Kontakte gemieden werden. Bei Männern steigt in der zweiten Lebenshälfte die Wahrscheinlichkeit von Erektionsstörungen deutlich an. Die Schwere dieser Potenzstörung kann sehr unterschiedlich sein. Sie reicht von gelegentlichen Problemen bis zum totalen Verlust der Erektionsfähigkeit. Und schließlich wirken sich auch seelische Erkrankungen, partnerschaftliche Probleme oder Ängste – genau wie bei jungen Menschen – sehr stark auf das Liebesleben aus.

Darüber sprechen
Trotz aller Veränderungen der letzten Jahre in punkto Sexualität gibt es noch immer Vorurteile, die den Umgang mit der sexuellen Gesundheit behindern. Die heutige Generation der Alten wuchs noch mit unzureichender Aufklärung sowie religiösen und moralischen Einschränkungen auf. Diese Faktoren wirken bis heute in den Köpfen nach.

"Eine große Anzahl der Patienten glaubt heute immer noch, dass sexuelle Funktionsstörungen im Alter normal sind", so Prof. Dr. Hans Georg Nehen, Leiter des Geriatrie-Zentrums Haus Berge in Essen. „Umfrageergebnisse zeigen, dass nur ein geringer Prozentsatz aller Deutschen mit sexuellen Problemen einen Arzt aufsuchen. Vor allem Männer tun sich da schwer. Viele alte Menschen legen auch keinen Wert auf eine Behandlung. Trotzdem lohnt es sich durchaus, über die sexuelle Gesundheit zu sprechen. Nicht nur weil sie zu einem befriedigenden Leben dazugehört, sondern auch weil sexuelle Funktionsstörungen häufig erste Anzeichen für solch ernsthafte Erkrankungen wie Diabetes oder Herzkrankheiten sein können.“

Und viele Probleme, die den Spaß oder die Lust an der Sexualität nehmen, lassen sich durch medizinische Hilfe beheben. So gibt es für die trockene Scheide beispielsweise viele Cremes, die die Gleitfähigkeit erhöhen. Hormonstörungen, Inkontinenz und Entzündungen in der Scheide lassen sich in vielen Fällen gut therapieren. Auch die Therapieformen der Erektionsstörungen sind vielfältig. Sie können beispielsweise mit Hilfe von Tabletten, Selbstinjektionen oder Vakuumpumpen behandelt werden.

Jugendliche fragen Dr. Sommer ...
In der Öffentlichkeit ist Sexualität im Alter kaum ein Thema. Für junge Menschen, deren Sexualität sich entwickelt, gibt es Ratschläge in vielen Zeitschriften oder Büchern. Alle Probleme und Fragen, die in dieser Lebensphase auftauchen können, werden dort erörtert. Für Menschen, deren Sexualität sich altersbedingt verändert, gibt es kaum etwas vergleichbares. Dabei müssen auch sie lernen, sich in ihrer sich verändernden Sexualität neu zu finden.

„Es gibt zwar keine allgemein gültigen Regeln für ein erfülltes Sexualleben“, sagt Brandenberg, „aber es gibt einige Voraussetzungen, um bis ins hohe Alter befriedigende sexuelle Erlebnisse zu haben: Letztendlich muss jeder Mensch – egal ob alt oder jung – seine Wünsche und Bedürfnisse selbst erkennen und versuchen, sich diese zu erfüllen. Wichtig ist dabei, die bestehenden Tabus hinsichtlich der Liebe im Alter zu überwinden und einen individuellen Weg zu gehen. Der Abbau der Schamgefühle dem eigenen Körper gegenüber spielt dabei eine wichtige Rolle. Man muss aber auch lernen, den Körper des Partners, der sich evtl. auch durch Krankheit oder Alter verändert hat, zu akzeptieren. Gerade nach Erkrankungen bedeutet die Möglichkeit der körperlichen Nähe und auch der Befriedigung der sexuellen Lust eine enorme Steigerung der Lebensqualität. Auch Offenheit ist eine Voraussetzung für ein erfülltes Liebesleben. Sexualpartner sollten sich über ihre Bedürfnisse, aber auch über gemeinsame Interessen und benötigte Freiräume austauschen – denn schließlich ist Sexualität ja nicht nur auf den Geschlechtstakt allein reduziert. Leistungsdruck hat bei der Liebe grundsätzlich nichts verloren: Verabschieden sollte man sich von der Vorstellung, dass alles so klappen muss wie früher. Hauptsache ist doch, man hat Spaß bei dem, was man tut. Dem Vorspiel kommt im Alter eine besondere Bedeutung zu, da bei älteren Männern etwas mehr Zeit vergeht, bis sie eine ausreichende Erektion bekommen. Hilfsmittel oder Spielzeuge beim Liebesspiel zu verwenden ist nichts Anrüchiges. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass auch die Selbstbefriedigung eine Möglichkeit bietet, die Sexualität auszuleben. Bestehen ernsthafte partnerschaftliche Probleme, können diese mit Hilfe therapeutischer Beratung auch noch nach vielen Ehejahren behoben oder zumindest gebessert werden.“

Der Prinz auf dem weißen Pferd
Vor allem Frauen haben im Alter häufig keinen Partner mehr, mit dem sie Intimität erleben können. Ab einem gewissen Alter herrscht Männermangel: Das Frauen-Männer-Verhältnis beträgt bei den 60jährigen noch 1:1, bei den 70jährigen 3:2 und bei den 80jährigen kommen auf jeden Mann zwei Frauen. Viele ältere, alleinstehende Frauen wünschen sich allerdings Beziehungen zu Männern – ob nun rein kameradschaftlich oder erotisch-sexuell.

„Wer sich im Alter nach einem Partner sehnt, muss selbst aktiv werden“, sagt Brandenberg, „das ist nicht anders als bei jungen Leuten auch. Der ‚Prinz auf dem weißen Pferd’ kommt selten vorbeigeritten, wenn man allein zu Hause auf dem Sofa sitzt. Bei Gemeindefesten, Seniorentreffs, Tanzveranstaltungen oder Busausflügen kann man da schon eher Glück haben. Als Kontaktbörse werden mittlerweile auch im Internet Foren speziell für Senioren angeboten. Und wem dieses neue Medium fremd ist, kann sich auch ganz klassisch in den Bekanntschaftsanzeigen der Zeitung umsehen.“

Eine befriedigende Sexualität hängt also auch im Alter sehr stark von jedem selbst ab, wie man mit körperlichen Veränderungen umgeht und sich von der Vorstellung verabschiedet, dass der Sex immer noch so wie früher sein müsse. Es gibt Menschen, die auf körperliche Liebe im Alter verzichten und glücklich damit sind. Das ist durchaus legitim. Wer aber möchte, sollte auch im Alter den Sex genießen – egal, ob nun mit einem neuen oder dem alten Partner, denn ein erfülltes Liebesleben ist eine wichtige Quelle für Lebensenergie und Selbstwertgefühl.

WANC 23.06.05/eke





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/23_06_alterssex.php
powered by webEdition CMS