ADHS: Gibt es bei uns tatsächlich immer mehr Zappelphilipps?

Die Barmer GEK benutzt markige Worte: "In Deutschland wächst eine "Generation ADHS" heran." Damit will sie darauf aufmerksam machen, dass bei uns immer mehr Kinder von Ärzten mit Aufmerksamkeits-/ Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) diagnostiziert werden. Und: Diesen Kindern werden häufig Medikamente verschrieben. 

Was die Krankenkasse an Zahlen vorlegt, kann einen nachdenklich stimmen. So stellten Ärzte bei Kindern die Diagnose ADHS 2011 um 42% häufiger als 2006. Das bedeutet in der Altersgruppe bis 19 Jahre 472000 Jungen und 149000 Mädchen, die als Zappelphilipp behandelt werden. Im Alter zwischen 10 und 12 Jahren wird bundesweit bei 12% aller Jungen und 4% aller Mädchen das ADHS-Syndrom diagnostiziert.

Behandelt wird das Syndrom gerne mit Ritalin, Wirkstoff Methylphenidat. Seit 2006 bis ins Jahr 2010 steigt die Verordnung dieses Medikamentes an, ab 2010 sinkt die Zahl der Rezepte wieder, auf denen dieses Medikament steht.  Lauter Barmer GEK wird das Mittel am häufigsten an Kinder im Alter von elf Jahren verschrieben: 7% der Jungen und 2% der Mädchen bekamen es 2011. Insgesamt nahmen 336.000 Personen Ritalin.

Die Krankenkasse findet diese Entwicklung "inflationär". ADHS werde zu häufig diagnostiziert und Pillen könnten nicht gegen Erziehungsprobleme helfen. Statt dessen sollten andere Therapieoptionen - wie Elterntraining oder Verhaltenstherapie - genutzt werden. Dass der Kasse die hohen Diognose- und Verordnungszahlen nicht in den Kram passen ist klar: Das kostet sie eine Menge Geld.

Doch Dr. Thomas G. Grobe und Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) in Hannover, die den Arztreport erarbeitet haben, sehen noch andere Probleme. So machen sie Eltern-abhängige Probleme aus, die zwischen Erwartungshaltung und Erziehungsschwierigkeiten rangieren. Mit anderen Worten: Sind Kinder aktiv, laut und quirlig, wollen nicht ruhig sitzen bleiben, sondern toben, fügen sich nicht sofort, sondern geben Widerworte, dann lassen sie sich mit der Diagnose ADHS und einer entsprechenden Pille ruhig stellen. Auch erkennen sie ein fachliches Bewusstsein für dieses Erkrankungsbild, dass "bei uns schon seit mehr als einem Jahrzehnt hoch ist".

Nun gibt es nicht wenige Experten, die Bedenken an den Ergebnissen anmelden. Denn der Report beantworte nicht die Frage, ob der Zuwachs an Diagnosen u.a. auf die bessere Information zu dem Krankenbild beruht oder ob es und in welche Höhe tatsächlich Fehldiagnosen gibt. Da aber nur noch Fachärzte die Diagnose ADHS überhaupt stellen dürfen, dürfte dieses Problem und das einer fahrlässigen Verschreibung gering sein. Oder aber doch nicht? Oder finden Eltern in Ritalin die einfache Lösung ihrer Erziehungsprobleme?

Nun steht die Barmer GEK mit ihren Zahlen nicht ganz allein. Auch andere Kassen legen ähnliche Daten vor. In den USA hat eine Studie ergeben, dass viele Kinder, weil sie sich nicht so verhielten, wie es von ihnen erwartet wurde, wegen ADHS behandelt wurden. Dabei zeigte sich in ihrem Benehmen vor allem eine ganz normale Unreife. Zu denken muss geben, dass anscheinend viele Psychotherapeuten und Psychiater ihre Diagnose eher anhand von Faustregeln fällen, statt sich eng an die gültigen Diagnosekriterien zu halten.

Berliner Ärzteblatt 31.01.2013/ Quelle: Barmer GEK Arztreport 2013





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/kind/adhs-31-01-13.php
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