Kernkraftwerke: Nicht für Fehlbildungen von Kindern verantwortlich?

Viele Menschen, die in der Nähe von
Kernkraftwerken wohnen müssen, haben Angst. Sie fürchten für ihre
Gesundheit die negativen Folgen möglicher Strahlung. Das Ganze ist
nicht ohne politischen Sprengstoff, weil die Laufzeit der Atommeiler
verlängert werden soll. Jetzt haben Wissenschaftler versucht
nachzuweisen, dass Kinder, deren Mütter in der Nähe von Kernkraftwerken
wohnen, nicht häufiger mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Allerdings:
Andere Studien kommen zu anderen Ergebnissen. Und: Kritiker bemängeln
die Vertrauenswürdigkeit der Studie.
Etwa jedes 18. bis 20. Neugeborene wird mit einer großen Fehlbildung
(WHO-Definition) geboren. In Deutschland sind somit jährlich etwa
33.000 Kinder betroffen. Besonders häufig kommen hierbei Fehlbildungen
bei Organen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. Herzfehler), des Skeletts
(z.B. Hüftluxationen) und der Nieren vor. Etwa 20 Prozent der
angeborenen Defekte sind erbbedingt, 5 bis 10 Prozent beruhen auf
chromosomalen Störungen, wie dem Down- Syndrom, und 2 bis 5 Prozent auf
Virusinfektionen. Bei ca. 60 Prozent ist die Ursache nicht bekannt,
betonen Wissenschaftler. Und wie sieht es mit den Auswirkungen möglicher radioaktiver
Strahlungen in der Nähe von Atomkraftwerken aus? Dazu haben Experten
des Geburtenregisters „Mainzer Modell“  am Zentrum für Kinder- und
Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz die „Epidemiologische
Studie zu angeborenen Fehlbildungen in der Umgebung deutscher
Leistungsreaktoren“ (kurz: KuK-Studie, Kind und Kernkraft)
durchgeführt. Für die KuK-Studie wurden innerhalb von vierzehn Monaten
5.273 Kinder (Lebendgeborene, Totgeborene und Schwangerschaftsabbrüche
aufgrund pränatal diagnostizierter Fehlbildungen) in die Auswertung
einbezogen, deren Mütter zu Beginn der Schwangerschaft entweder in der
Studienregion (zehn Kilometer Nahumgebung Biblis und Philippsburg) oder
in der ausgewählten Vergleichsregion (die 20 Kilometer entfernte Region
rund um Kaiserslautern, Pirmasens und Zweibrücken) wohnten. Dies
entspricht einer Erfassung von mehr als 90 Prozent aller relevanten
Geburten. Zu dem Einfluß der Strahlung sagt die Studie: Jeder Mensch ist in
Deutschland einer natürlichen radioaktiven Strahlung von
durchschnittlich etwa 1,4 mSv pro Jahr ausgesetzt. Demgegenüber ist die
gemessene zusätzliche Belastung in der Nähe deutscher Kernkraftwerke
vernachlässigbar. Von den 2.423 Kindern der Studienregion hatten 108 eine Fehlbildung
(4,5 Prozent) und in der Vergleichsregion 135 von 2.850 Kindern (4,7
Prozent). „Soviel hatten wir aufgrund der Erfahrungen des Mainzer
Modells erwartet. Dies spricht gegen einen Einfluss des mütterlichen
Wohnsitzes in der Nähe eines Kernkraftwerkes auf angeborene
Fehlbildungen. Zudem gibt es in dieser Studie auch keinen Hinweis
darauf, dass die Häufigkeit von Fehlbildungen mit der räumlichen Nähe
des Wohnortes zum Kernkraftwerk zunimmt“, stellt die Studienleiterin
Priv.-Doz. Dr. Annette Queißer-Wahrendorf vom Zentrum für Kinder- und
Jugendmedizin fest. Die Daten der wissenschaftlichen Untersuchung wurden in zwei Schritten
erhoben: Zumeist beim vorgeburtlichen Aufnahmegespräch in einer der 16
aktiv beteiligten Kliniken – von insgesamt 31 Kliniken und Instituten –
der relevanten Region beantworteten die teilnehmenden Mütter ergänzend
zu den üblichen Fragen zum Schwangerschaftsverlauf einen
studienspezifischen Zusatzfragebogen, in dem beispielsweise nach
medizinischer Strahlenbelastung gefragt wurde. Nach der Geburt führten
eigens geschulte Kinderärzte standardisierte klinische und
sonografische Untersuchungen der Neugeborenen durch. Diese entsprachen
der üblichen Vorsorgeuntersuchung (U2) bei speziell ausgearbeitetem und
standardisiertem Schema. „Es war uns ein wichtiges Anliegen zu untersuchen, ob es Hinweise für
eine erhöhte Fehlbildungshäufigkeit im Zehn-Kilometer-Radius eines
Kernkraftwerkes gibt. Dass wir dafür keinerlei Hinweise gefunden haben,
hat uns sehr beruhigt“, betont Queißer-Wahrendorf. „Dies ist aus
unserer Sicht eine wichtige Information für die Mütter und Familien,
die in diesen Regionen leben.“ Ob die Familien wirklich beruhigt sein können? Die Ärzteorganisation
IPPNW sieht das ganz anders. Sie kritisiert, dass die KuK-Studie
aufgrund geringer Fallzahlen eine zu geringe statistische
Nachweisstärke (power) habe, um einen Effekt in ähnlicher Größenordnung
wie in der Studie zu Kinderkrebs um Atomkraftwerke (KiKK-Studie)
nachzuweisen. Der Physiker Dr. Alfred Körblein hat die Daten der Studie auch
ausgewertet. Trotz der dünnen Datenlage zeige sich eine deutliche
Zunahme des Risikos mit der Nähe zum Atomkraftwerk, wenn die Auswertung
der Daten auf den Entfernungsbereich größer 3 km beschränkt werde.
Seiner Meinung nach hätte eine Ausweitung der Untersuchungsregion auf
einen Radius von mindestens 15 km und des Untersuchungszeitraums auf 2
Jahre ausgereicht, um Zusammenhänge zwischen Strahlenbelastung in der
Nähe von Kernkraftwerken und Fehlbildungen zu bestätigen.  Interessant ist auch: Das Kinderkrebsregister in Mainz hat in der
sogenannten KiKK-Studie 2007 gezeigt: Das Risiko für Kinder, an
Leukämie zu erkranken, ist umso größer, je näher sie an einem Reaktor
wohnen. Und eine ebenfalls 2007 durchgeführte Analyse von weltweit
erschienen Studien zu dem Thema, bestätigte diesen Trend.   WANC 22.07.10, Quelle: Epidemiologische Studie zu angeborenen Fehlbildungen in der Umgebung deutscher Leistungsreaktoren





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/kind/22_07_fehlbildungen_kinder.php
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