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Leidet jedes sehr lebhafte Kind gleich unter einem Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS)? Kritiker bemängeln, dass diese Diagnose oft vorschnell und falsch gestellt wird. (Foto: Stock photo)
> Zappelphilipp: Zu schnell Medikamente
Warum gibt es immer mehr Kinder, bei
denen ein Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) fest
gestellt wird? Eine Antwort darauf versuchen Psychologinnen und
Psychologen zu geben. Sie glauben, dass Kinder nicht ausreichend
untersucht werden, die Diagnose von nicht qualifizierten Ärzten zu
schnell gestellt wird und deshalb zu viele Medikamente verschrieben
werden.
Noch immer werden sehr lebhafte Kinder mitunter allzu rasch als krank
abgestempelt und mit Psychopharmaka ruhig gestellt. Das bemängelt der
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Der Verband
stellt hohe und weiter steigende Krankenzahlen beim
Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom  (ADHS) fest. Und
außerdem eine weitere Zunahme der Verschreibung ADHS-spezifischer
Medikamente. Die tatsächlich an ADHS Erkrankten hätten einen Anspruch
auf eine vielschichtige Therapie - Psychoedukation, Familientherapie,
Verhaltenstherapie und ggf. Ergotherapie - statt mit Medikamenten
vollgestopft zu werden, reklamiert der BDP. Diese Einschätzung decke sich weitgehend mit den Aussagen des vom
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen gerade vorgelegten Sondergutachtens 2009, sagt der
Verband. Dieses beklage, dass die vorliegenden Leitlinien beim Einsatz
vom Psychostimulanzien bei ADHS nur unzureichend umgesetzt würden. In
anderen Ländern wie Finnland und Schweden konnte durch strikte Auflagen
eine Begrenzung der Verordnungen erreicht werden. Das Grundproblem sieht der BDP aber in der mangelhaften
Diagnosequalität. Oft würden Kinder und Jugendliche von dafür nicht
ausgebildeten Kinderärzten oder Allgemeinmedizinern als ADHS-krank
eingestuft, moniert Henri Viquerat, Vorsitzender der Sektion Klinische
Psychologie im BDP. In anderen Fällen würde ADHS dagegen wegen
mangelhafter Diagnostik gar nicht festgestellt. Die zugegeben aufwändige, mehrere Stunden in Anspruch nehmende
differentielle Diagnostik durch Psychologen, muss nach Ansicht von
Viquerat, der den BDP im Expertenrat des deutschlandweiten
ADHS-Netzwerkes vertritt, unbedingt vorgeschaltet werden, bevor
verschiedene therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. Dafür gebe es
flächendeckend Früherkennungszentren und sozialpädiatrische
Einrichtungen, in denen Psychologen, Ärzte und andere Berufsgruppen
erfolgreich zusammenarbeiten. In diesen  Einrichtungen sei nicht
nur die Diagnosequalität für Kinder mit ADHS-Verdacht gewährleistet,
sondern es bestünden auch Möglichkeiten, Eltern zu beraten und Kindern
psychologisch anzuleiten. Die Beratung sei gerade dann dringend
geboten, wenn ein Kind nicht an ADHS leidet und mit den Eltern andere
mögliche Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten zu klären sind.  Zudem befürwortet der BDP den Ausbau eines Netzes von auf ADHS
spezialisierten Praxen, in denen Psychologen und Ärzte kooperieren.
Diese sollten so ausgestattet werden, dass die psychologisch hoch
anspruchsvolle und aufwendige Diagnostik dort kompetent durchgeführt
werden kann. Eine Lösung für die steigende Zahl von ADHS-Fällen unter
Erwachsenen ist ein weiteres Thema, das in den kommenden Jahren
Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis verdiene. Der Aufwand für eine qualifizierte Diagnostik in jedem Alter ist nach
Viquerats Worten nicht nur aus ethischen Gründen gerechtfertigt,
sondern lohne sich auch finanziell, wenn man die Folgen und Folgekosten
von Fehldiagnosen und jahrelanger Falschbehandlung mit Medikamenten
gegenrechnet. WANC 06.07.09/Quelle: Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen
 
 
 
 
 
 
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