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Das hormonell wirksame Bisphenol A kann durch Speichel gelöst werden und in die Blutbahn gelangen (Foto: Stock photo)
> Bisphenol-A: Kehrtwende

Plötzlich geht alles ganz schnell.
Händler nehmen Bisphenol-A-belastete Babyschnuller aus ihren Regalen.
Hersteller kündigen Umstellung der Produktion an. Dabei wurde lange
bestritten, dass die hormonell wirksame Chemikalie in den gehandelten
Konzentrationen überhaupt gefährlich werden könnte. Bisphenol A wird
allerdings verdächtigt, Unfruchtbarkeit, Schädigungen der
Gehirnentwicklung und Brustkrebs hervorzurufen. Doch nun kündigt sich
eine Kehrtwende an. Das liegt wahrscheinlich auch daran, weil sich nun
zeigt, dass die Grenzwerte für die Belastung überschritten werden.
Die Handelskette Kaufland und Drogeriemärkte von Schlecker nehmen
Bisphenol-A-belastete Babyschnuller aus ihrem Sortiment. Die Umstellung
der Produktion ihrer Schnuller auf Bisphenol-A-freie
Ausgangsmaterialien kündigten die Hersteller von NUK-, Babylove- und
Baby-Nova-Schnullern an. Noch keine Umstellung seiner Produktion hat
bisher das Unternehmen Philips, Hersteller der im Test am höchsten
belasteten Schnuller der Marke AVENT, angekündigt. Damit reagieren die
genannten Händler und Hersteller wie Mapa, dm-Drogerie Markt und
Novatex auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Vielleicht aber auch auf vehementen Druck. Bei Analysen des Bund für
Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) von Anfang Oktober waren in
den Saugteilen von Latex-Schnullern der Marken Babysmile, Baby-Nova,
Babylove und NUK sowie in einem der untersuchten Silikon-Produkte der
Marke AVENT Bisphenol-A-Konzentrationen zwischen 80 und 400 Milligramm
pro Kilogramm gefunden worden. In einer zweiten Untersuchung konnte der
BUND zudem nachweisen, dass sich die hormonell wirksame Chemikalie
durch Kontakt mit Speichelflüssigkeit aus den Schnullern löst, so dass
mit einer Aufnahme durch Babys und Kleinkinder zu rechnen ist.
Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
bestätigten inzwischen, dass eine große Zahl von Schnullern
Bisphenol-A-belastet ist. Die österreichische Organisation GLOBAL 2000 sieht den Verzicht auf
Phenole als notwendigen Schritt an. “Denn Säuglinge und Kleinkinder
reagieren besonders empfindlich auf hormonelle Schadstoffe", warnt
GLOBAL 2000-Chemiker Dr. Helmut Burtscher. Phenole stehen im
begründeten Verdacht fortpflanzungsschädigend zu sein, die Entwicklung
des zentralen Nervensystems zu stören sowie Verhaltensauffälligkeiten
zu bewirken. Tatsächlich gibt es Bisphenol-A nicht nur in Babyschnullern. Es ist in
vielen Alltagsgegenständen wie Babyfläschchen, Plastikschüsseln und der
Innenbeschichtung von Konservendosen enthalten. Innerhalb Deutschlands
werden jährlich ca. 410.000 Tonnen der Chemikalie verbraucht. Der BUND stellt zu dem umstrittenen Stoff fest: „Bisphenol A gehört zu
den hormonellen Schadstoffen, die bereits in winzigen Mengen in unseren
Hormonhaushalt eingreifen können. Es ist außerdem ein gutes Beispiel
dafür, wie wenig die traditionelle Risikobewertung noch geeignet ist,
tatsächliche Schäden zu erfassen: Möglicherweise ist es durch eine
direkte Einwirkung auf Hormonrezeptoren in geringeren Konzentrationen
schädlicher als in größeren Mengen. Frühreife, eine reduzierte
Spermienzahl oder auch Verhaltensstörungen werden als mögliche Folgen
diskutiert.“ Die Organisation weist darüber hinaus kritisch darauf hin, warum es so
lange dauerte, bis Erkenntnisse in Taten umgesetzt wurden: „Bisphenol A
ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig eine von der Industrie
unabhängig finanzierte Risikobewertung ist. So wiesen alle Ergebnisse
unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen der letzten Jahre auf
eine Gesundheitsgefährdung hin, wohingegen alle von der Industrie
durchgeführten Studien Entwarnung gaben. Umso problematischer ist es,
dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Wert
für die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge im Sommer 2007 um das
Fünffache auf 0,05 mg je Kilogramm Körpergewicht erhöhte – ein
Vorgehen, dass von Umwelt- und Verbraucherschützern stark kritisiert
wurde und wird. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)sieht
im Moment keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber.“ Dass das BfR die Gefahren der Phenole für den Verbraucher lange mit dem
Hinweis auf Grenzewerte und niedrige Belastungen herunterspielte, mag
zu denken geben. Inzwischen scheint jedenfalls auch das Bundesinstitut
eine Kehrtwende vorgenommen zu haben: „ Der Stoff kann in
Verpackungsmaterialien für Lebensmittel und in Spielzeug enthalten
sein. Im Tier-versuch ist die Substanz ab einer bestimmten Dosis
giftig. Um die Gesundheit der Verbrau-cher nicht zu gefährden, gelten
deshalb Grenzwerte. Diese orientieren sich an dem Tolerable Daily
Intake (TDI)-Wert, d.h. der Stoffmenge, die ein Leben lang ohne
gesundheitliches Risi-ko aufgenommen werden kann. Für Phenol gilt
derzeit ein TDI-Wert in Höhe von 1,5 Milli-gramm je Kilogramm
Körpergewicht und Tag. Dieser Wert wurde vor mehr als 40 Jahren auf
Grundlage der damaligen Datenlage festgesetzt. Eine aktuelle Bewertung
der EU zeigt jetzt aber, dass der Wert sich im Bereich dessen bewegt,
wo in tierexperimentellen Studien noch schädliche Wirkungen beobachtet
wurden, nämlich bei 1,8 Milligramm je Kilogramm Körper-gewicht und Tag
(LOAEL-Wert). Damit sind aus Sicht des BfR die bestehenden Grenzwerte
für Phenol in Gegenständen für den Kontakt mit Lebensmitteln und
Spielzeug nicht adäquat.” WANC 04.11.09/ Quelle: BfR, Global 2000, BUND
 
 
 
 
 
 
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