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Übermäßiges Laufen birgt Suchtpotential (Foto: Stock photo)
> Auch Sport kann süchtig machen

Was ist Sucht, wann ist man abhängig?
Längst sind es nicht mehr allein die bekannten Suchtstoffe wie Alkohol
und Drogen, denen Suchtpotential beigemessen wird. Auch die Sucht zu
Computerspielen oder Telefonieren sind inzwischen anerkannt. Dass sogar
übermäßiger Sport süchtig machen kann, überrascht deshalb nicht
besonders. Was diese Erkenntnis bringt? Wissenschaftler glauben, das
positive Gefühl des Sports in die Therapie von Suchtkranken integrieren
und ausnutzen zu können.
 “Übermäßiges Laufen hat Ähnlichkeiten mit der Drogeneinnahme",
behaupten Forscher der Tufts University. Wenn Sport im Übermaß
betrieben werde, könne dies zu körperlicher Abhängigkeit führen. Bei
übertrainierten Ratten ließen sich auf einfache Weise
Entzugserscheinungen hervorrufen, die vom Rauschgift-Entzug bekannt
sind. Im Experiment beobachteten die Wissenschaftler 80 Ratten für mehrere
Wochen. Man ermöglichte den Tieren während dieser Zeit, sich in einem
Laufrad auszutoben, und gliederte sie nach dem Grad ihrer Aktivität in
Gruppen. Abschließend verabreichte man ihnen entsprechend ihrem
Körpergewicht eine Dosis des Medikaments Naloxon, das man bei
Opiat-Überdosis zum Hervorrufen sofortiger Entzugserscheinungen
einsetzt. Während faule Ratten kaum reagierten, zeigten die sportlichen
typische Entzugserscheinungen wie Zittern, Krümmen oder Zähneklappern.
Am stärksten war dieser Effekt bei den Tieren, die ihr Laufrad am
häufigsten betätigt hatten. Die Studienautoren gehen davon aus, dass
hier dieselben Prozesse im Belohnungssystem des Gehirns abliefen wie
bei drogenabhängigen Ratten. Vor einer Verwässerung des Suchtbegriffs durch Gleichstellungen mit
Alkohol- oder Drogensucht warnt Volker Weissinger, Geschäftsführer des
Fachverbandes Sucht e.V.: “Viele Verhaltensformen wie etwa Arbeit,
Putzen, Musik oder eben Sport nehmen suchtähnliche Formen an, wenn sie
im Übermaß betrieben werden. Zugleich sind sie doch mitunter
gesellschaftlich anerkannt, da sie auch zu kulturellen Höchstleistungen
führen können. Entscheidend ist, ob man dabei das eigene Verhalten noch
voll unter Kontrolle hat oder nicht." Kritisch sei die Situation
jedenfalls, wenn etwa beim Trinken  die Toleranzgrenze steige oder
Sozialkontakte unter der exzessiven Ausübung eines Verhaltens
langfristig leiden würden. Die Forscher suchten auch nach Hinweisen für eine Essstörung bei
Sportlern, der sogenannten "Anorexica Athletica". Menschen, die an
dieser Störung leiden, betreiben exzessiv Sport, um somit einen
Abmagerungseffekt durch fehlende Essenseinnahme noch zu steigern.
Sowohl aktive als auch faule Ratten untergliederte man dazu weiters in
Gruppen, die nur zu einer Tageszeit Futter bekamen, während die anderen
während des gesamten Tagesverlaufs fressen konnten. Der beabsichtigte
Gewichtsverlust trat auch bei den fastenden Tieren ein. Bei der
Naloxon-Probe zeigte sich, dass die Tiere, die nur einmal am Tag Futter
bekamen und zugleich am meisten liefen, die insgesamt stärksten
Entzugserscheinungen entwickelten. "In Verbindung mit anderen
psychischen Störungen steht exzessiv ausgeübter Sport unter einem ganz
anderen Licht", betont Weissinger. Grundsätzlich sieht der Suchtexperte das Glückserlebnis, das die
Aussendung von Endorphinen im Gehirn auch beim mäßig betriebenen Sport
auslösen kann, positiv. "Der Mensch strebt nach Glücksmomenten, die ihn
aus dem Alltag herausheben. Sport ist eine grundsätzlich gesunde Form,
um dies zu erreichen, da er das körperliche Wohlgefühl und die
Leistungsfähigkeit fördert." Die von den amerikanischen Studienautoren
vorgeschlagene Einbeziehung des Sports in Entwöhnungsprogramme gebe es
in der Praxis bereits. "Multimodal ausgerichtete Behandlungsprogramme
beinhalten etwa neben Psychotherapie, Ergotherapie, arbeitsbezogenen
Leistungen auch Sport und Bewegung. Viele Suchtkranke haben ihren
Körper über längere Zeit vernachlässigt und profitieren von solchen
Maßnahmen", so Weissinger. WANC 27.08.09/ Quelle: Behavioral Neuroscience, pte
 
 
 
 
 
 
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