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Wie auch andere Suchtkranke leiden Kaufsüchtige unter seelischen Belastungen, sie benutzen das Einkaufen zur Flucht vor ihren Problemen und Gefühlen (Foto: Stock photo)
> Vom krankhaften Zwang zum Kaufen
Nein, das ist kein schlechter Witz
unter Männern über Frauen. Die Sucht zum Kaufen gibt es im übrigen
nicht nur bei Frauen. Aber doch - es ist eine Sucht, weil meist ein
zwanghaftes Verhalten dahinter steckt, sagen Psychiater. Doch fast
immer leiden die Betroffenen an mindestens einer weiteren psychischen
Erkrankung: Depressionen, Ängste oder Essstörungen. Mittlerweile gibt
es Therapien.
Kaufrausch, Kaufzwang, zwanghaftes Konsumverhalten oder „Kauforgie"
gehören laut psychiatrischen Lehrbüchern (noch) nicht zu den
Impulshandlungen. Tatsächlich überkommt aber heutzutage viele
sogenannte „klinisch gesunde“ Mitbürger beiderlei Geschlechts immer
öfter ein fast anfallsweise auftretender Kaufdrang. Schuhe, Taschen,
Klamotten, Bücher, Kosmetika, Dekorations- oder Elektroartikel – egal,
ob im Laden oder online, ob man es nun braucht oder nicht. Dass artet mitunter zu wahren Einkaufsorgien aus. Manche überziehen
dabei ihr Konto, einige verschulden sich sogar ganz erheblich. In
Deutschland wurden 2005 zwischen sechs und acht Prozent der Erwachsenen
als kaufsuchtgefährdet eingestuft. Man spricht in Fachkreisen heute von
800.000 Betroffenen in Deutschland. Elf Prozent der Deutschen sind
ausgeprägte kompensatorische „Shopper,“ sechs Prozent sind de facto
kaufsüchtig. So die Ergebnisse einer Kaufsuchtstudie für Deutschland. 

 Wer viel kauft, ist aber nicht gleich kaufsüchtig. Entscheidend sind
das Verhalten und das Gefühl beim Einkaufen. Ein Hinweis: Schnell nach
dem Bezahlen geht das Interesse an dem Gekauften verloren. Wer seine
ständige Kauflust nicht beherrschen kann, nicht mehr nur ab und an zum
Trost oder zur Belohnung shoppt, hat möglicherweise ein ernstes,
behandlungsbedürftiges Problem. Oft benutzen die Betroffenen die erstandenen Dinge so gut wie nie,
legen sie originalverpackt zur Seite, verheimlichen oder verstecken
sie, mitunter vergessen sie sie dann sogar. Im Unterschied zum
gelegentlichen Schnäppchenwahn oder Frustkauf versuchen Kaufsüchtige,
die negativen Konsequenzen ihres Verhaltens zu verharmlosen, zu
rechtfertigen oder oft auch durch Lügen oder Betrügereien zu
kaschieren. Wie auch andere Suchtkranke leiden Kaufsüchtige unter seelischen
Belastungen, sie benutzen das Einkaufen zur Flucht vor ihren Problemen
und Gefühlen. Auffällig ist, dass sie insgesamt locker mit Geld umgehen
und nur schlecht einschätzen können, wie viel sie ausgegeben haben.
 Meist suchen Betroffene jedoch erst Hilfe, wenn die Schulden sie
erdrücken oder die Partnerschaft zu zerbrechen droht. Psychologen
sprechen dann vom „pathologischen Kaufen“. Von den Betroffenen, die sich in Behandlung begeben, leiden mehr als 90
Prozent an mindestens einer weiteren psychischen Erkrankung:
Depressionen und Ängste sind mit etwa 80 Prozent am weitesten
verbreitet; fast jeder Dritte leidet an Essstörungen oder einer
weiteren Suchterkrankung – so eine Studie am Universitätsklinikum
Erlangen. Daher fragen sich Experten mittlerweile, ob Kaufsucht überhaupt ein
eigenständiges Störungsbild oder nicht vielmehr ein „Nebenprodukt“
anderer psychiatrischer Erkrankungen ist. Diese Frage konnte bislang
noch nicht endgültig beantwortet werden. Auch das Wissen darüber, wie
ein solches pathologisches Kaufverhalten entsteht, gibt es noch nicht. Die meisten Psychiater bezeichnen Kaufsucht (Oniomanie) als Zwangs-
oder Impulskontrollstörung – wie Pyromanie, Kleptomanie oder
krankhaftes Glücksspiel. Mit diesen Phänomenen hat die Kaufsucht
beispielsweise gemein, dass der Patient die aufkommenden Impulse als
unwiderstehlich erlebt und sein Verhalten nicht rational begründen
kann. Außerdem setzen Kaufsüchtige ihre Handlungen trotz negativer
Konsequenzen fort – dies spricht für eine Störung der Impulskontrolle.

 Wie behandeln?
Eine Forschergruppe um den Psychiater James Mitchell von
der University of North Dakota erprobt eine speziell für Kaufsüchtige
entwickelte Verhaltenstherapie. An der Psychosomatischen und
Psychotherapeutischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen wird
eine modifizierte deutsche Version dieses Programms entwickelt, die
teilweise auch schon angewendet wird. In zwölf Therapiesitzungen lernen
die Patienten, ihre Kaufattacken zu reduzieren, indem sie deren
Ursachen auf den Grund gehen. Auf dem Lehrplan stehen auch angemessenes
Konsumverhalten, Finanzmanagement sowie die Bedeutung von EC- und
Kreditkarten. In einer Studie an der Stanford University in Kalifornien
wurde bereits eine Pille gegen die Kaufsucht mit Erfolg getestet. Das
Medikament beeinflusst ganz gezielt den Serotoninspiegel im Gehirn.
Serotonin ist ein wichtiger chemischer Botenstoff, der Reize zwischen
den Nervenzellen überträgt. WANC 26.02.10, Quelle: dgk
 
 
 
 
 
 
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