Medikamentenabhängig: Die stille Sucht

Die Medikamenten-Abhängigkeit gehört
zu der am schwersten durchschaubaren und konkret erfassbaren Suchtform.
Suchtgefährlich sind Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel, aber auch
Abführ- und Anregungsmittel sowie Appetitzügler. Suchgefährdet sind vor
allem Frauen und ältere Menschen. Männer und die mittleren („besten“)
Lebensjahre holen auf. Warum Medikamentenabhängigkeit in der Regel
lange ohne Behandlung bleibt, liegt zum einen am fehlenden
Problembewußtsein der Betroffenen. Zum anderen aber auch daran, dass
die Sucht nur schwer erkennbar ist.
Das Bundesministerium für Gesundheit schätzt, dass in Deutschland 1,4
bis 1,9 Mio. Menschen medikamentenabhängig sind, davon 1,1 Mio. von
Benzodiazepinen. Demnach sind mehr Menschen von Medikamenten abhängig
als vom Alkohol. Mit einem Anteil von 70 % sind Frauen
überdurchschnittlich häufig betroffen. Darüber hinaus steigt der
problematische Gebrauch von Medikamenten – statistisch gesehen – mit
zunehmendem Alter kontinuierlich an. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) besitzten
4 bis 5 % aller häufig verordneten Arzneimittel ein eigenes
Suchtpotenzial. Alle psychotropen Arzneimittel wie z. B. Schlafmittel
und Tranquilizer vom Benzodiazepin- und Barbitursäure-Typ, zentral
wirkende Schmerzmittel, Codeinhaltige Medikamente oder auch
Psychostimulantien sind rezeptpflichtig. Schätzungsweise 25 bis 30 %
dieser Mittel werden nicht wegen akuter Probleme, sondern langfristig
zur Suchterhaltung und zur Vermeidung von Entzugserscheinungen
verordnet. Oft wird das (spätere) Suchtmittel während einer ärztlichen
Behandlung kennengelernt. So weit verbreitet die Problematik ist, so wenig spiegelt sie sich in
der Inanspruchnahme von Hilfen wieder. Im Jahr 2008 nahmen
biespielsweise in Berlin nur 25 Menschen mit der Hauptsuchtdiagnose
Medikamentenabhängigkeit ambulante Beratung in Anspruch, gegenüber
5.141 Alkoholabhängigen. Stationär wegen ihrer Medikamentenabhängigkeit
behandelt wurden im selben Zeitraum 8 Personen gegenüber 742
Alkoholabhängigen. Die Gründe dafür, dass Medikamentenabhängigkeit – auch die „stille
Sucht“ genannt – meist unerkannt und unbehandelt bleibt, sind
vielfältig. Man merkt den Betroffenen ihre Abhängigkeit häufig nicht an und die Tatsache, dass Medikamente in der
Regel aufgrund bestehender Beschwerden eingenommen und meist sogar
ärztlich verordnet werden, erschwert die Entwicklung eines
Problembewusstseins hinsichtlich Missbrauch und Abhängigkeit. So facettenreich sich die Problematik darstellt, so vielfältig sind auch die Zielgruppen der Prävention. „Ebenso wichtig wie die Aufklärung der Menschen über das
Abhängigkeitsrisiko, das mit einer regelmäßigen Einnahme diverser
Präparate einhergeht, ist es, vor allem die Berufsgruppen, die nahezu
zwangsläufig mit dieser Problematik in Berührung kommen, z. B.
Mediziner/innen und Apotheker/innen, für dieses Thema zu
sensibilisieren“, betont Kerstin Jüngling, Leiterin der Fachstelle für
Suchtprävention im Land Berlin. Ein erster Schritt aus dem Dilemma ist die Intensivierung der
Kooperation zwischen Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen mit
Medikamentenberatungsstellen und Apotheken, Sensibilisierung und
Fortbildung der betreffenden Berufsgruppen oder das Einführen von
Warnhinweisen auf Medikamentenpackungen. „Medikamentenabhängige
begreifen sich häufig nicht als süchtig und suchen deshalb auch keine
Suchtberatungsstelle auf. Durch Angebote im Lebensumfeld,
beispielsweise von Informationsveranstaltungen zum Thema 'Medikamente -
Wirkungen und Nebenwirkungen' in Stadtteilzentren, ist es möglich,
unverbindlich mit Betroffenen in Kontakt zu kommen und aufzuklären“,
wirbt Angelika Vahnenbruck, Geschäftsführerin der Gemeinnützigen
Gesellschaft für frauenspezifische, soziale & gesundheitliche
Dienstleistungen mbH - La Vida gGmbH. WANC 19.08.10, Quelle: Fachstelle für Suchtprävention, Apothekerkammer
Berlin, Beratungsstelle Frauen-Alkohol-Medikamente & Drogen (FAM)





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/19_08_medikamentenabhaengig.php
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