Kein Geld mehr - wer Schulden nicht begleichen kann, zahlt mit seiner Gesundheit
> Schulden essen Seelen auf
Nach Schätzungen des Statistischen
Bundesamtes sind zirka drei Millionen Privatpersonen in Deutschland
überschuldet. Zahlungsunfähige Menschen befinden sich in einer
existenziellen Notlage und leiden weit häufiger unter einer psychischen
Erkrankung als die Normalbevölkerung. Doch das ist es nicht allein:
Auch das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, steigt.


Der Soziologe Heiko Rüger von der Universität Mainz befragte 666
zahlungsunfähige Menschen in 53 anerkannten Schuldner- und
Insolvenzberatungsstellen von Rheinland-Pfalz. Dabei zeigte sich: Vier
von zehn Schuldnern gaben an, derzeit an einem psychischen Leiden
erkrankt zu sein. Je weniger soziale Unterstützung die verschuldeten
Personen erhielten, desto schlechter war ihr seelisches Befinden. „Vor
allem Personen“, so Rüger, „die die Überschuldung als starke Belastung
erleben und nicht auf ein intaktes Netzwerk zurückgreifen können, sind
von psychischen Erkrankungen bedroht.“ Bislang wurde der Zusammenhang zwischen Psyche und Verschuldung im
deutschsprachigen Raum nicht systematisch erforscht. Wie Rüger darlegt,
gibt es jedoch einige internationale Untersuchungen, die in eine
ähnlich Richtung weisen: So fand beispielsweise die Ärztin Annika
Rosengren von der Universität Göteborg im Jahr 2004 heraus, dass
Menschen mit finanziellem Stress ein erhöhtes Risiko aufweisen, eines
Tages an einem Herzinfarkt zu erkranken. Und nach den Erkenntnissen des
Psychologen Richard H. Price von der University of Michigan sinkt bei
verschuldeten Menschen das Selbstbewusstsein rapide. Zugleich leiden
sie häufiger an Depressionen als nicht verschuldete Personen. Der seelische Leidensdruck ist nach den Befunden Rügers bei jenen
Menschen besonders groß, die sich allein gelassen fühlen. „61,8 Prozent
der überschuldeten Personen, die über eine mangelnde soziale
Unterstützung durch ihr soziales Netzwerk berichten, leiden unter
psychischen Erkrankungen.“ Wie die Befunde verdeutlichen, sind jene
zahlungsunfähigen Menschen in hohem Maße belastet, die keine Änderung
ihrer Situation anstreben. Diejenigen hingegen, die ein
Privatinsolvenzverfahren beantragt haben, fühlen sich psychisch besser. Entscheidend ist dabei nicht so sehr die objektive Schuldenlast,
sondern die subjektiv empfundene Bedrohung. Je stärker sich eine Person
belastet fühlt, desto schlechter ist auch ihr Befinden. Zum einen sind
überschuldete Menschen psychisch stärker belastet; zum anderen geraten
Menschen mit psychischen Problemen eher in eine
Überschuldungssituation. Beide Wirkmechanismen sind möglich und bereits
ansatzweise belegt.

 Wie die Studienergebnisse verdeutlichen, ist die finanzielle Situation
ein bedeutsamer „Risikofaktor“ für das Entstehen einer psychischen
Erkrankung. Ärzte und Psychologen sollten deshalb stärker als bisher
üblich den sozioökonomischen Hintergrund ihrer Patienten erfragen, rät
Rüger. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die soziale Lage der
Betroffenen gelegt werden: Wer nämlich überschuldet und sozial isoliert
ist, der ist psychisch besonders belastet.   

 WANC 08.09.10, Quelle: H. Rüger et al.: 
Psychische Erkrankung und
Überschuldung. 
PPmP Psychotherapie Psychosomatik Medizinische
Psychologie, 2010; 60 (7): S. 250-254
 
 
 
 
 
 
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